Rio de Janeiro. .

Die Abrechnungen sind längst im Gange, und vor allem Trainer Luiz Felipe Scolari bekommt nun die andere Seite der beinahe schizophrenen brasilianischen Seele zu spüren. Warmherzig, liebevoll und voller Pathos, so hatte die Welt die Gastgebernation bei dieser WM kennengelernt. Seit dem desillusionierenden 1:7 im Halbfinale gegen die deutsche Nationalmannschaft aber zeigen sich brachiale Züge.

Nun wird Scolari regelrecht hingerichtet – dass dies mit Worten geschieht, macht es für den 65-Jährigen kaum besser. Er ist schuld, so einfach ist das für viele Landsleute, und er soll dafür büßen. „Fora Scolari!“ Hau ab, Scolari, hieß es in sozialen Netzwerken und Medien, oder auch: „Fahr zur Hölle!“ Vor dem Halbfinale säuselte die Nation noch: „Felipão“, großer Felipe. In Brasilien liegen die Extreme sehr nah beieinander, im Fußball wie im Alltag.

Vielleicht war es vor dem letzten, schweren Gang des Trainers und seines Teams bei dieser WM ganz gut, dass Neymar die Aufmerksamkeit wieder ein bisschen auf sich zog.

Neymar bemüht sich um Mäßigung

Vor dem Spiel um Platz drei an diesem Samstag gegen die Niederlande (22 Uhr/ZDF) gab der 22-Jährige erstmals nach seinem Lendenwirbelbruch im Viertelfinale wieder eine Pressekonferenz, im WM-Quartier in Terésopolis. Gestützt hat Neymar den Trainer dabei zwar nicht, das wäre nach den vernichtenden Worten seines einflussreichen Beraters auch unmöglich gewesen. Aber zumindest könnte er das vergiftete Klima etwas beruhigt haben.

„Als sei es ein Endspiel“, so solle man die Partie angehen, „und diese WM lächelnd beenden“. Neymar wird der Partie in Brasília als Zuschauer beiwohnen und dabei Scolaris letztes Spiel als Trainer der Seleção erleben – das ist nur noch nicht offiziell. Zunächst aber müssen alle Beteiligten diesen Tag überstehen. Mit einem feierlichen Abschied ist nicht zu rechnen. Ein bisschen Hoffnung besteht, dass sich beim brasilianischen Publikum die Erkenntnis durchsetzt, dass diese Seleção auch unter einem anderen Trainer mit der Mission sechster WM-Titel überfordert gewesen wäre.

Neymar erinnerte nebenbei auch daran, dass es Schlimmeres gibt, als den Titel zu verpassen. „Zwei Zentimeter weiter nach innen, und ich säße jetzt im Rollstuhl“, sagte er über den Kniesprung des Kolumbianers Juan Zúñigas in seinen Rücken.