Belo Horizonte. .

Das Knie. Das war es. Das verriet Toni Kroos. Er hatte es auf seinen Rollkoffer gestützt und wippte ein bisschen vor und zurück. Um ihn herum standen in drei Reihen die Reporter – eine Traube aus Menschen, Aufnahmegeräten und Fragen. Kroos beantwortete sie alle. 7:1 hatten er und seine Kollegen der deutschen Nationalmannschaft gerade gewonnen. 7:1 – ein Kreisklassenergebnis, eines, das es vielleicht früher einmal gab, aber doch heute nicht mehr im modernen Fußball. 7:1 jedoch stand nachweislich im Estádio Mineirão auf der Anzeigetafel – gegen den WM-Gastgeber Brasilien, im WM-Halbfinale.

„Der Sieg ist schon etwas deutlicher ausgefallen, als wir das erwartet habe“, sagte Kroos in den Katakomben der Arena und bemühte sich dabei um diese typische Toni-Kroos-Ernsthaftigkeit. Man weiß nicht so recht, ob sie ein Relikt aus seiner mecklenburgischen Kindheit ist, oder ob er sie sich erst unter dem ständigen Erfolgszwang in München angewöhnt hat. So oder so wirkte das jedoch ebenso unwirklich wie das Ergebnis des Spiels. Aber dann kam das Knie zum Einsatz. Es wippte auf dem Koffer und entlarvte Kroos als einen glückseligen Mann – als einen, der völlig gelöst und für ein paar wenige Augenblicke lang ganz bei sich war.

Verständlich war dieser Kroos’sche Anflug von Lockerheit sowieso. Der 24-Jährige hatte soeben einen WM-Abend erlebt, von dem mit ziemlicher Sicherheit noch seine Kinder und deren Kinder sprechen werden, und der maßgeblich von ihm selbst auf den Weg gebracht worden war: Kroos hatte nicht nur das Scheibenschießen mit einem gefühlvollen Eckball auf Thomas Müller eröffnet, der zum dammbrechenden 1:0 traf (seine Torvorlage Nummer vier im Turnier). Er hatte auch Miroslav Kloses 2:0 mit einem überragenden Pass in den Strafraum eingeleitet.Ein Treffer wie ein Gemälde war das, bei dem Kroos die Leinwand grundierte.

Und dann waren da auch noch die Tore drei und vier, erzielt von ihm selbst. Es waren seine ersten beiden WM-Treffer. Und weil er auch sonst einen ziemlich formidablen Auftritt gegen die überforderten Brasilianer hingelegt hatte, wurde er zudem auch noch als Spieler des Spiels ausgezeichnet.

Prunkstück Mittelfeld

„Sehr beeindruckend“ fand Kroos die Leistung seiner Mannschaft. „Wir haben ein tolles Spiel gezeigt. Wahrscheinlich war es das beste Länderspiel, seit ich dabei bin“, sagte er. Und weil er gefragt wurde, gab er unumwunden zu, dass er sich auch selbst in dieser Partie gefallen habe. „Ich persönlich habe ein gutes Spiel gemacht“, sagte Kroos und ergänzte schnell noch: „Aber es gab auch schon gute davor von mir.“

Während Kroos also sprach und mit dem Knie wippte, schlichen sich hinter seinem Rücken zwei Akteure unbemerkt vorbei, die eine nicht ganz unwesentliche Rolle an die-sem denkwürdigen Abend gespielt hatten, die aber eben ein bisschen weniger auffällig waren als Kroos: Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira. Erst zum zweiten Mal bei dieser WM hatten beide zusammen in der Startelf stehen dürfen. Noch zu Turnierbeginn musste sie sich einen von zwei Jobs im zentralen Mittelfeld teilen, weil sie nach Verletzungen noch nicht hundertpro-zentig belastbar waren. So sah es jedenfalls der Bundestrainer Joachim Löw und stellte Philipp Lahm ins Mittelfeld.

Gegen Brasilien aber zerrten Schweinsteiger und Khedira das Geschehen an sich wie in den ge-meinsamen, erfolgreichen Tagen der WM 2010, als das Duo den Herzschlag des deutschen Spiels in Südafrika vorgab. Die Rollen waren wieder wie damals klar verteilt: Schweinsteiger gab den Part des reifen Strippenziehers, ordnete von hinten klug das Spiel und stellte bei gegnerischen Angriffen die Räume zu. Khedira dagegen durchpflügte das Mittelfeld an Kroos’ Seite, stieß immer wieder mit Sprints in die Sturmspitze, bereitete erst Kroos’ 4:0 vor, um nur Augenblicke später das 5:0 selbst zu erzielen.

Özil bemüht, aber blass

Weil das Mittelfeld so gut funktioniert, kann Löw auch verschmer-zen, dass Mesut Özil nicht in Form ist. 2010 war Özil noch der Dritte im Bunde neben Schweinsteiger und Khedira – zuständig für den karnevalistischen Fußball. Doch Kroos hat ihm mittlerweile den Rang abgelaufen und auf den Flügel verdrängt. Auch gegen Brasilien war Özil zwar bemüht aber blass. Sein Weg hatte ihn nach 2010 steil nach oben geführt, und interessanterweise scheint Kroos diesen nun in gleicher Richtung einzuschlagen: Wie Özil damals nach der WM 2010 steht auch Kroos kurz vor einem Engagement bei Real Madrid. Die Spanier bieten ihm ein Jahresgehalt von zwölf Millionen Euro brutto. Nur noch die Ablösemodalitäten mit Kroos’ aktuellem Verein FC Bayern seien zu klären. 25 bis 30 Millionen Euro sind im Gespräch.

Kroos hatte sich lange über mangelnde Wertschätzung geärgert – in München und der Nationalelf. Im DFB-Team lag das auch an zwei verlorenen Halbfinals (2010 bei der WM und 2012 bei der EM), die auch mit dem Namen Toni Kroos in Ver-bindung gebracht wurden. Nun hat er seine Mannschaft ins Finale von Rio geführt. Wenn es nach ihm geht, zieht er als Weltmeister nach Madrid und trifft dort auf einen anderen: Sami Khedira.