Salvador. .
Nachdem er den entscheidenden Elfmeter pariert hatte, rannte Tim Krul mit weit von sich gestreckten Armen über den Rasen der Arena Fonte Nova und ging in einer orangenen Spielertraube unter. Und Louis van Gaal riss vor der Trainerbank die Hände in die Höhe und genoss die Huldigungen seines Betreuerstabes. Mit dem ersten Torwartwechsel vor einem Elfmeterschießen in der WM-Geschichte gelang van Gaal nach torlosen 120 Minuten beim 4:3 gegen Costa Rica im Viertelfinale der entscheidende Schachzug, durch den Oranje vom ersten Weltmeistertitel seiner Historie träumen darf.
Van Gaal mit stolzer Brust
„Goldener Griff von van Gaal“ titelte „De Telegraaf“ und befand: „Van Gaal übertrifft sich selbst“. Für die Tageszeitung „Volkskrant“ war es das „Meisterstück von van Gaal“, dank dem die Niederlande nun am Mittwoch (22 Uhr MESZ) in São Paulo gegen Argentinien um den erneuten Einzug ins WM-Endspiel spielen. „Ich denke, dass wir durchaus Chancen gegen Argentinien haben“, sagte van Gaal, der in Brasilien bereits in den Partien zuvor mit Wechseln für den Erfolg gesorgt hatte.
Mit der Einwechslung von Krul für den davon wenig begeisterten Stammkeeper Jasper Cillessen gelang dem früheren Bayern-Trainer in Salvador sein Königsschachzug bei dieser WM. „Jeder im Team hat besondere Qualitäten. Und wir fanden alle, dass Tim der beste Keeper wäre, um Elfmeter zu halten. Er hat eine große Reichweite“, sagte van Gaal über seine ungewöhnliche Aktion. „Ich bin ein bisschen stolz, dass das alles so geklappt hat.“
Die Psychospielchen von Tim Krul allerdings gingen nicht nur vielen Zuschauern auf der Tribüne in Salvador entschieden zu weit. Mit einem Pfeifkonzert quittierten sie die Versuche des niederländischen Torhüters, zwei Schützen aus Costa Rica zu verunsichern. Sowohl beim zweiten Elfmeter von Bryan Ruiz als auch beim dritten Versuch von Giancarlo Gonzáles hatte sich Krul unsportlich verhalten und in der Nähe des Elfmeterpunktes auf die Schützen gewartet, sich vor ihnen aufgebaut und lautstark auf sie eingeredet. Zumindest bei Ruiz ging die fragwürdige Taktik des Keepers auf: Der Angreifer vom PSV Eindhoven scheiterte.
Krul selbst verteidigte sich am Tag darauf. „Ich habe nichts Falsches gemacht, ich habe sie nicht in aggressiver Art angeschrien“, erklärte er. „Ich habe ihnen nur gesagt, dass ich weiß, wohin ihr Schuss geht. Ich habe versucht, in ihren Kopf zu kommen und sie psychologisch fertigzumachen.“
Deutschlands Ex-Nationaltorwart Oliver Kahn kritisierte Schiedsrichter und Keeper, Kruls Verhalten sei „ein wenig unsportlich“ gewesen.
Am Ende aber standen die Niederlande sportlich verdient im Halbfinale gegen Argentinien, und Trainer Louis van Gaal genoss seinen aufgegangenen Plan sichtlich, als er nach der Partie über den Rasen schritt. Fast majestätisch winkte er in Richtung Ehrentribüne, bei der Pressekonferenz war die Brust noch ein bisschen weiter nach vorne gestreckt als ohnehin üblich. „Wir haben Costa Ricas Elfmeter studiert und trainiert“, berichtete van Gaal.
Cillessen spielt wieder
Dass der Plan nicht ungefährlich war, räumte er ein. „Wenn es schiefgegangen wäre, hätten mich alle für verrückt erklärt.“ Mit Krul hatte van Gaal den Wechsel im Vorfeld besprochen. Stammkeeper Cillessen war nicht eingeweiht. „Das wäre enttäuschend für ihn gewesen“, sagte der Bondscoach. Cillessen, der die drückend überlegenen Niederländer in der 117. Minute mit einer Glanztat gegen Marcos Urena ins Elfmeterschießen gebracht hatte, hatte den ersten Frust nach der Auswechslung schnell überwunden. Gegen Argentinien wird er ohnehin wieder spielen, kündigte van Gaal an.