Santo André. In der Vermarktungsmaschine des modernen Fußballs ist es für Spieler mittlerweile wichtig, sich einen unverwechselbaren Markenkern zu erschaffen. Lukas Podolski zum Beispiel hat sich beharrlich den Ruf des Gute-Laune-Onkels erworben. Im DFB-Flieger nach Brasilien am Wochenende kam der 29-Jährige als einziger Nationalspieler nach hinten in die Maschine, wo die Journalisten saßen, riss ein paar Witze und ließ die Reporter glückselig zurück.

Podolskis Werk war damit aber noch nicht vollendet: Sitznachbar Bastian Schweinsteiger war auf dem Flug eingepennt, und Podolski postete später ein Foto im Internet, das ihn breit grinsend mit dem Schlafenden zeigte. Podolski ist also immer noch der Klassenclown – der Poldi, wie früher. Schweinsteiger übrigens revanchierte sich dann mit einem ähnlichen Foto des weggenickten Podolski im Teamquartier Campo Bahia.

Unter dem ganzen Karnevalimage des Bergheimers aber ging in den vergangenen Jahren irgendwie der Fußballprofi Lukas Podolski verschüttet. Fast vergessen, dass es da ja irgendwann auch mal einen anderen Markenkern gegeben hat: den des schussgewaltigen Linksfusses mit brachialem Zug zum Tor.

Das lag nicht vornehmlich an Podolski selbst, sondern am Erstarken des Dortmunders Marco Reus, der ihn in der Nationalelf auf dem linken Flügel verdrängte – Markenkern: Ausnahmespieler mit Hang zu extravaganten Frisuren. Reus aber ist nun wegen einer schweren Fußverletzung in Brasilien nicht dabei - er fällt nach neuen Untersuchungen drei Monate aus und verpasst auch den Bundesligaauftakt im August. Neben dem Teilriss der vorderen Syndesmose oberhalb des linken Sprunggelenks zog er sich zusätzlich einen knöchernen Bandausriss an der Fersenbein-Vorderseite zu.

Ein herber Rückschlag für Bundestrainer Joachim Löw. Eine der vielen Fragen, die der 54-Jährige noch bis zum ersten Gruppenspiel gegen Portugal am Montag beantworten muss, ist die nach dem Reus-Ersatz. Er entscheide nach Trainingseindrücken, sagt Löw. „Welche Spieler machen bis zum Spiel gegen Portugal noch Fortschritte – technisch, taktisch, körperlich.“

Da trifft es sich gut, dass Podolski gerade selbst ein bisschen Bergungsarbeit in eigener Sache verrichten kann, um seinen eigentlichen Wert für die Mannschaft wieder zu Tage zu fördert. Bei den Testspielen gegen Kamerun und Armenien war der Angreifer des FC Arsenal nach seinen Einwechslungen der auffälligste Spieler. Und auch in den ersten Trainingseinheiten in Santo André wirkt er präsent und fast hyperaktiv wie lange nicht mehr. „Wenn Lukas seine Dynamik entwickelt, ist er kaum zu halten“, schwärmt Löw. In der Premier League musste Podolski vier Monate lang wegen eines Muskelbündelrisses pausieren und kehrte erst Ende des vergangenen Jahres zurück in den Spielbetrieb. Ob er sich nun wohl in Topform befinde? „Das kann sein. Ich versuche, Gas zu geben, wenn ich spiele“, sagt Podolski.

Er hat derzeit die besten Chancen auf den Reus-Platz in der Startelf. Für ihn wäre es die Rückkehr zum alten Standing im DFB-Team, das er vor allem bei den Weltmeisterschaften 2006 und 2010 mit insgesamt fünf Turniertoren prägte.

Für André Schürrle dagegen, dem zweiten Anwärter auf die Reus-Position, wäre es ein überraschender Karrieresprung, sollte er gegen Portugal in der Startelf stehen. Löw hatte stets moniert, dem 23-Jährigen fehle noch die nötige Robustheit. Das allerdings hat sich nach Schürrles Wechsel zum FC Chelsea zur abgelaufenen Saison verändert. Der ehemalige Mainzer und Leverkusener war neben Podolski der große Gewinner der WM-Vorbereitung und präsentierte sich bei den Testspielen in bestechender Form. „André und Lukas sind körperlich sehr dynamisch, sehr stark. Man hat das Gefühl, dass sie in England, in dieser körperlich sehr robusten und intensiven Liga, zugelegt haben“, sagt der Bundestrainer.

An seinem eigenen Markenkern hat André Schürrle übrigens schon mehrfach geschraubt. In Mainz wurde er einst vom zentralen Mittelfeldspieler zum Flügelstürmer umgeschult und verärgerte seinen damaligen Trainer Thomas Tuchel mit Popstarauftritten im Fernsehen. Das Image des „Bruchweg-Boys“ ist längst abgestreift. Bei dieser WM könnte das des Überraschungsspielers neu entstehen.