Lissabon. .

Der kleine Faltplan, der in den Hotelrezeptionen ausliegt oder dem Reiseführer beiliegt, ist in diesem Fall wenig hilfreich. Wer sich in Lissabon auf Spurensuche nach Cristiano Ronaldo begibt, der braucht nicht durch die Baixa, die Unterstadt, zu stöbern, nicht im Chiado, in der oberen Altstadt, zu fahnden und erst recht nicht durch die Klubs und Bars des Bairro Alto, der Oberstadt, zu streifen. Aber selbst das Estádio Jose de Alvalade in nördlicher Richtung, die Spielstätte des Erstligisten Sporting Lissabon, hilft nicht. Das Geheimnis seiner weltweit bewunderten und global nachgeahmten Fertigkeiten verbirgt sich dort, wo Portugals Kapitale weniger kunstvoll, weniger bezaubernd wirkt: in Alcochete, einem kleinen Städtchen auf der anderen Seite des Rio Tejo.

Bescheidenes Ambiente

Vom Stadtzentrum kann es bei verstopften Straßen fast eine Stunde Autofahrt dauern, über die Brücke Vasco da Gama und dann immer dort entlang, wohin sich Touristen eher nicht verirren. Es ist eine andere Welt, die bei dem nasskalten Schmuddelwetter, das gerade die Stadt ärgert, nur sehr bedingt einladend wirkt. Immerhin: Die Sportplätze der „Academia de Sporting“, dem Ausbildungsbetrieb von Sporting Lissabon, sind penibel gepflegt, aber das Ambiente ist bescheiden. Aber wie sagt der Topstar von Real Madrid stets, wenn er auf die Wurzeln seiner Weltkarriere angesprochen wird? „In Alcochete habe ich nicht nur das Fußballspielen erlernt, ich habe fürs Leben gelernt“.

Ronaldo, aus portugiesischer Sicht der gefühlte Fixpunkt des bevorstehenden Champions-League-Finals zwischen den Madrider Stadtrivalen Atletico und Real (Samstag, 20.45 Uhr/live ZDF), wird bis heute als der schillernde Star dieser Talentschmiede verkauft, auch wenn von hier schon so viele ausgeschwärmt sind. Miguel Veloso, Joao Moutinho, Ricardo Quaresma oder auch Nani – teilweise entsprang fast die halbe portugiesische Nationalmannschaft dieser Quelle. Brasiliens Nationaltrainer Felipe Scolari hat sie einmal „den besten Ausbildungsbetrieb der Welt“ genannt.

Niemand hat Alcochete indes so bekannt gemacht wie Ronaldo, der als Zwölfjähriger seine Heimat, die Insel Madeira, verließ. Die liegt fast 1000 Kilometer weg mitten im Atlantik, und die Entfernung beschreibt ungefähr auch die Diskrepanz des Dialekts. Es ist ein großer Unterschied, ob jemand Portugiesisch spricht, der in der Hauptstadt aufwuchs, oder auf der Blumeninsel.

Und Ronaldo haben sie deswegen gehänselt. Das Talent hatte es daher anfangs schwerer, sich Anerkennung zu verschaffen. „Der Tag, an dem ich meine Eltern verlassen musste und zu Sporting ging, war der traurigste und gleichzeitig der schönste in meinem Leben“, meinte er einmal. Ihm kam zugute, was die Akadamie-Direk-toren als Prämisse für die Profis von morgen ausgaben: „Wir achten bei der Aufnahme von Kindern nicht so sehr auf ihre körperlichen Voraussetzungen. Wichtig ist nur, wie gut ein Kind mit dem Ball umgehen kann.“ Und das konnte Ronaldo wie kein anderer Junge.

Vom Fleck weg verpflichtet

Im September 2002 debütierte er bereits fürs Profiteam von Sporting, mit 17 Jahren wurde er jüngster Torschütze der Vereinsgeschichte. Dann kam, was kommen musste: Ausgerechnet, als die für die EM neu gebaute Spielstätte von Sporting bei einem Freundschaftsspiel gegen Manchester United im Sommer 2003 eröffnet wurde und Ronaldo als 18-Jähriger sensationell auftrumpfte, verpflichte ihn Trainer-Legende Sir Alex Ferguson fast vom Fleck weg. Insofern ist es beinahe rührig, dass Ronaldo nun zurückkehrt, um Luftlinie keine drei Kilometer weiter im Estadio da Luz des Lokalrivalen Benfica seine furiose Champions-League-Saison mit bislang 16 Toren triumphal zu vollenden. Und das zehnte Mal für die Königlichen den Königspokal zu gewinnen.

Die Stilikone ahnt, dass der Showdown im Stadion des Lichts vermutlich wichtiger ist als die WM im fernen Brasilien. Jedenfalls tut Ronaldo alles, um seine Landsleute nicht zu enttäuschen. Der 29-Jährige sagt, er werde am Samstag bei hundert Prozent sein. Er wird bei Anpfiff auf dem Platz stehen. Das ist er Lissabon einfach schuldig. Oder besser Alcochete.