Johannesburg. . Der erste Profi-Rennstall aus Johannesburg will einen ganzen Kontinent mit dem Radsport-Virus infizieren und träumt vom Sieg bei der Tour de France. Ein junges Talent hat das Team um den Sportlichen Leiter Jens Zemke bereits in dem 22-jährigen Tsagbu Grmay aus Äthiopien gefunden.
17. März 2013, kurz vor Genua. Es schneit Flocken so groß wie Taschentücher, die Straße wird innerhalb weniger Minuten weiß und im Unwetter plagen sich Männer in kurzen Hosen zitternd vor Kälte auf ihren Rennrädern den Berg hinauf. Von wegen Fahrt in den Frühling, der Klassiker Mailand - San Remo geriet 2013 zur Zitterpartie, bis die Verantwortlichen die durchgefrorenen Profis in Busse setzten, über den Pass ans Meer kutschierten und sie dort im strömenden Regen weiter fahren ließen. Stunden später raste Gerald Ciolek als Erster über die Ziellinie in San Remo. Und in den Fernsehkabinen mühten sich die TV-Moderatoren mit dem Namen des Kölners, aber vor allem mit dem seiner Mannschaft: MTN Qhubeka.
Gerald Ciolek aus Köln soll helfen
MTN was? Selbst Experten mussten nachschlagen. MTN Qhubeka (sprich: Kubeka) gibt es zwar seit 2008, aber erst vor einem Jahr bekam das Team aus Johannesburg vom Weltverband UCI eine Continental Pro Team Lizenz, das der ersten afrikanischen Profimannschaft Rennen in Europa überhaupt erst ermöglichte. Und dann gewannen die Frischlinge gleich den Auftakt der Klassikersaison.
April 2014: MTN Qhubeka besitzt zwar trotz 14 Saisonsiegen 2013 immer noch nur eine Zweitliga-Lizenz, hat aber eine Einladung für die Spanien-Rundfahrt im September und startet mit einer Wildcard am 27. April beim Klassiker Lüttich – Bastogne – Lüttich. Vor allem hat das Team aber große Ziele. MTN Qhubeka ist so etwas wie eine Fahrschule, aus deren Kreis in ein paar Jahren der erste Tour de France Sieger aus Afrika kommen soll. Und dabei sollen neben Ciolek auch die deutschen Profis Andreas Stauff, Martin Reimer und Linus Gerdemann helfen.
100 000 Fahrräder verschenkt
Afrika nach vorn, deshalb gibt es das Team. Aber auch, um für eine gerechtere Welt zu radeln. Qhubeka heißt Hoffnung und ist eine Stiftung, die in Afrika Fahrräder an Familien auf dem Land verteilt, um den Fußweg der Kinder zur Schule von teilweise mehr als vier Stunden am Tag drastisch zu verkürzen. Seit 2005 wurden mehr als 100 000 Drahtesel verschenkt, im Gegenzug müssen sich die Kinder sozial engagieren und zum Beispiel zu Hause ihren Müll trennen. Finanziell wird Qhubeka vom afrikanischen Telekommunikationsunternehmen MTN unterstützt, das auch das Profiteam finanziert.
Hinter dem sportlichen Engagement steckt der Gedanke, dass es auf einem Kontinent, auf dem es vor außergewöhnlichen Ausdauerathleten nur so wimmelt, doch auch Radrecken geben muss. Besonders in den Höhen von Äthiopien oder Kenia werden Talente vermutet, die zu internationalen Stars reifen könnten.
Jens Zemke als Sportlicher Leiter in der Verantwortung
Im Unterschied zum Laufen ist der Rennradsport aber auch eine technische Disziplin. In einem Peloton mit 200 Fahrern rennmäßig unterwegs zu sein, mit Tempo 90 Pässe herunter zu rasen oder über Kopfsteinpflaster zu holpern muss gelernt sein, sonst nützt einem die Kondition nicht viel. MTN Qhubeka ist somit auch ein Ausbildungsbetrieb. Mit überwiegend deutschen Lehrern. Neben den Profis ist auch noch der ehemalige Rennfahrer Jens Zemke als Sportlicher Leiter in der Verantwortung. „In zwei bis drei Jahren wollen wir soweit sein, das auch afrikanische Profis vorne mitfahren können“, sagt der Wiesbadener.
Zemke kann zumindest was die Begeisterung in Afrika angeht aus dem Vollen schöpfen. Am Sitz des Teams in Südafrika ist Radsport ungeheuer populär. In Kapstadt findet jährlich mit 35 000 Startern das größte Jedermann-Rennen der Welt statt, und als im Juli 2013 Daryl Impey als erster Afrikaner für zwei Tage die Gesamtwertung der Tour de France anführte, liefen Hunderttausende in gelben Trikots über die Straßen. Impey fährt allerdings für ein australisches Team und gehört zur weißen Bevölkerung von Johannesburg.
Die Hoffnung aus Äthiopien
Zemkes Job ist aber eher, junge Talente vom Land aufzubauen. „Das Team“, sagt er, „ist langfristig angelegt. Wir sind mit 24 Jahren im Schnitt eine sehr junge Mannschaft und streben für 2015 den Aufstieg in die World-Tour an.“
Und es gibt auch bereits ein großes Talent. Tsagbu Grmay gilt als der Mann, der als erster Afrikaner vielleicht die Tour gewinnen kann. Der Äthiopier ist 22 Jahre jung und soll langsam herangeführt werden. „Äthiopien ist eigentlich ein Land der Läufer. Ich hoffe, dass ich das ändern kann“, sagt der in seiner Heimat populäre Grmay.
Afrika vor dem Sprung auf den Radgipfel? Der einstige Bahnspezialist Jean-Pierre van Zyl wagt eine Prognose. „In einigen Jahren wird der Radsport von Afrikanern dominiert werden“, so der Mann aus Johannesburg. „Ich sehe täglich Talente“, sagt er, „die andere Länder sicher gerne hätten.“