Iserlohn. .
Zwei Hände halten den Schal in die Höhe, dünne Kettchen um die dünnen Handgelenke. Die Handgelenke gehören Hock, Robert Hock, so weist es das Trikot aus. Die rot-blonden Haare des jungen Mädchens fallen wellenlos über die Rückennummer 91 des legendären Ex-Spielers der Iserlohn Roosters. Hock hat sich die Fingernägel abwechselnd blau und weiß lackiert. Der heruntergerutschte Ärmel gibt den Blick auf den Unterarm frei. „I love you“ hat ihr jemand mit schwarzem Kuli auf die Haut geschrieben. Die Haut, auf der sich in diesem Moment die Härchen aufstellen.
Es sind die Sekunden, bevor das Spiel der Roosters beginnt. Die Stehplatztribüne, der Ort, an dem die stehen, die ihr Herz hemmungslos an die Eishockey-Spieler aus dem Sauerland verloren haben, ist ein Meer aus Blau und Weiß.
Vergleiche mit dem FC Schalke 04 - Roosters wie eine Religion
Wolfgang Brück ist ein besonnener Mann, der nicht zu Übertreibungen oder Euphorie neigt. Der Rechtsanwalt und geschäftsführende Gesellschafter der Roosters sitzt in seiner Gemeinschaftskanzlei in Iserlohn, draußen scheint die Sonne. Die Saison in der Deutschen Eishockey-Liga strebt dem Höhepunkt entgegen. Läuft alles nach Plan, wartet die Teilnahme an der ersten Play-off-Runde auf Iserlohn. Danach sah es im Herbst nicht aus. Eine bedenkliche Niederlagenserie beförderte die Roosters damals tief ins Untergeschoss der Tabelle und verursachte „Niedergeschlagenheit in der Stadt“, wie Brück formuliert. Die Tristesse begegnete ihm im Restaurant, beim Joggen, im Theater, überall. Nun ist die Begeisterung zurück. Zuletzt musste der Sicherheitsdienst einschreiten, weil Fans bei einer PR-Aktion lebensgroße Pappfiguren von Roosters-Spielern entwenden wollten. „Wer in Gelsenkirchen wohnt, spricht über Schalke“, sagt Brück also, „wer in Iserlohn wohnt, spricht über die Roosters. Das ist fast wie eine Religion.“ Passend zur Zuversicht in der Stadt sind in dieser Woche Sekt und Meistertorte für je 3,99 Euro im Angebot.
In Hemer-Deilinghofen, wo die Liebesgeschichte zwischen Iserlohn und Eishockey ihren Anfang nahm, steht heute ein Supermarkt. Kanadische NATO-Truppen, zwischen 1953 und 1970 dort stationiert, hatten eine Eishalle gebaut – und damit den Boden bereitet, um den Sport ins Sauerland zu bringen. 1971, nachdem die Engländer das Gelände übernahmen und Panzer in dieser Halle säuberten, entstand die Puckhöhle am Seilersee, entstand Iserlohns Gespür für Eis. Es existiert in der Stadt, in der Region, in allen Gesellschaftsschichten.
Hinter dem rot-blonden Mädel steht ein imposanter Typ mit Glatze. Er hält sich wortkarg an seinem Becher Bier fest, um den Hals seinen Schal gewickelt. Dann bellt er plötzlich los. „Weiß wie Schnee und blau wie’s Meer, Iserlohn ich lieb’ dich sehr.“ Alle singen mit: die Familie mit zwei kleineren Kindern, der Typ mit der Kutte, die beiden Kumpels, der Taxifahrer, die Schüler, der Akademiker.
Mini-Roosters-Trikots für jeden neuer Iserlohner Bürger
Dr. Ulrich Bildheim ist Chefarzt im Iserlohner Bethanien-Krankenhaus. Auf der Neugeborenen-Station hat er eingeführt, dass jeder neue Iserlohner Bürger ein Mini-Roosters-Trikots erhält. Seit zehn Jahren geht das so. 800 Exemplare sind von dem winzigen Kult-Textil für dieses Jahr bestellt.
Die Fassade des Iserlohner Rathauses ist grau und verwittert. Das Büro des Bürgermeisters befindet sich in der ersten Etage, nah am Boden, nah am Bürger heißt das wohl. Peter Paul Ahrens, Anzug, Hemd, Krawatte, blickt durch seine Brille. „Als ich nach Iserlohn kam, war mir sofort klar, dass das die Eishockeystadt ist“, sagt der SPD-Mann. 1993 war das, seit 2009 ist er Bürgermeister. Sein Sohn hatte früher eine Dauerkarte, „acht Mark hat die gekostet – für die ganze Saison“, lacht Ahrens. Er selbst schafft es vier-, fünfmal pro Saison in die Halle.
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Im Spannungsfeld der Fußball-Metropolen Dortmund und Schalke hält sich das Eishockey-Fieber seit mehr als 50 Jahren. Iserlohn hat 94 000 Einwohner, im Sommer gibt’s ein riesiges Schützenfest, das Theater verzeichnet Zuschauerzuwachs, der Wirtschaft geht es relativ gut. Und während in vergleichbaren Städten Schwimmbäder geschlossen werden, wird in Iserlohn-Letmathe bald eines von Grund auf renoviert. Aber kein Produkt transportiert den Namen der Stadt derart wie die Eishockeyspieler. „Die Roosters machen Iserlohn deutschlandweit bekannt. Sie sind der Leuchtturm der Stadt“, sagt Ahrens.
„Tu ihm weh“, brüllt ein vollbärtiger Typ Richtung Eisfläche. Der Gedanke an die Play-offs elektrisiert die Fans. So wie in der Saison 2007/08, als die Roosters erstmals in die DEL-Play-offs einzogen. Als der Vorverkauf für die Viertelfinal-Partie gegen Frankfurt begann, standen die Menschen bei Schneeregen in Viererreihen in einer hunderte Meter langen Schlange. Alle wollten dabei sein. Alle wollen das jetzt wieder.
Roosters-Fans müssen auch leiden können
Roosters-Fans können jubeln, sie können nörgeln, sie müssen leiden können. Eishockey in Iserlohn ist immer auch eine Art Überlebenskampf. Sportlich. Wirtschaftlich. 1987 waren Gelder knapp, Lösungen rar. In ihrer Verzweiflung nutzte die Führung des Vorgänger-Klubs ECD Iserlohn die internationalen Kontakte von Hemers Bürgermeister Hans Meyer nach Libyen. Delegationen aus dem Sauerland bereisten den damaligen „Schurkenstaat“, um mit Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi zu verhandeln. Hofiert wie Staatsgäste wurden Meyer und Klub-Chef Heinz Weifenbach im Zelt von Gaddafi empfangen. Fotos zeigen, wie Meyer dem Diktator das Stadtwappen überreicht.
Das sportliche Jahr in Bildern
Der Deal stand: Iserlohn sollte Trikotwerbung für das Grüne Buch machen, im Gegenzug sollten Millionen fließen. Ein Spiel absolvierte Iserlohn in diesen Hemdchen. Das „heute journal“ berichtete live von jener Partie in Frankfurt, die „New York Times“ widmete sich dem Thema, Innenminister Friedrich Zimmermann schaltete sich ein. Das Trikot wurde verboten, Iserlohn verschwand aus der ersten Liga, startete als ECD Iserlohn neu, kollabierte wieder, startete wieder neu. Ein ewiger Kampf. Ewig, wie die Unterstützung der Fans.
Schick beleuchtet und hinter Glas genießen heute die Betuchten die Vorzüge des VIP-Daseins. 7,4 Millionen Euro städtische Investitionen hat es in den vergangenen Jahren für Ausbau und Modernisierung der Eishalle gegeben. Hohe sechsstellige Beträge zahlen die nicht gerade auf Rosen gebetteten Roosters dafür Jahr für Jahr als Miete zurück. Doch der Vertrag läuft im kommenden Sommer aus. Die Kosten drücken schwer aufs Budget. Wie geht es weiter? „Wir sind auch ein Wirtschaftsunternehmen, das sich jedes Jahr fragen muss, wo Einnahmen zu generieren und Ausgaben zu minimieren sind“, sagt Wolfgang Brück. „Alle Beteiligten müssen nach Lösungen suchen.“
Schließlich hat Eishockey nicht nur eine große Tradition, es soll in Iserlohn auch Zukunft haben.