Oberhof. . Nach einem schweren Radunfall sucht Miriam Gössner gegen den Rat ihrer Freundin Magdalena Neuner gleich wieder die große Bühne und startet auch beim Biathlon-Weltcup in Oberhof
Der Vorschlag war gut gemeint, doch Miriam Gössner schlug den Rat von Magdalena Neuner in den Wind. Die Doppelolympiasiegerin von Vancouver, vor zwei Jahren aus der Rolle des skijägernden Goldkinds ins Leben als Privatier gewechselt, hatte ihrer Freundin – gerade nach deren Tortur bei den Dezember-Weltcups – empfohlen, das neue Jahr auf der kleineren Bühne des IBU-Cups zu beginnen. Dort seien mediale Aufmerksamkeit und Druck nicht so groß, argumentierte Neuner. Doch die Begründung zog bei Gössner nicht.
„Nach meiner Verletzung wäre ich im IBU-Cup sicher genauso im Fokus der Öffentlichkeit gestanden. Ich denke nach wie vor, dass es die richtige Entscheidung war“, verteidigte die 23-Jährige ihren mit Trainern und Ärzten abgestimmten Entschluss, die Saison trotz schweren Radunfalls im Mai gleich auf der großen Biathlonbühne zu beginnen – und zum Start ins olympische Jahr nun auch bei dem Skijäger-Spektakel in Oberhof anzutreten.
„Kleines Wunder“ in Östersund
Im Thüringer Wald und bei den nachfolgenden Weltcups in Ruhpolding und Antholz will Miriam Gössner nachholen, was ihr im Dezember in Östersund und Hochfilzen – bei der dritten Station in Annecy reiste sie wegen der enormen Schmerzen im Rücken vorzeitig ab – noch nicht gelungen ist: Die vom DOSB geforderte olympische Norm (zwei Weltcup-Platzierungen unter den ersten 15 oder eine unter den Top Acht) zu erfüllen.
Die erste Gelegenheit bietet am frühen Freitagabend der Sprint über 7,5 Kilometer – auf einer Strecke, die die Oberhofer Organisatoren wegen des nassen und warmen Wetters einmal mehr unter größten Anstrengungen präpariert haben. Im Vorjahr triumphierte Gössner beim Sprint am Grenzadler noch vor der Norwegerin Tora Berger und Lokalmatadorin Andrea Henkel, die vor ihrer Abschiedsvorstellung vor der eigenen Haustür weiß: „Klar, das wird hochgradig emotional.“ Und: „Ein, zwei Tränen der Rührung sind nicht ausgeschlossen.“
Feuchte Augen drohen auch bei Miriam Gössner. Bei der blonden Frau aus Oberbayern liegt das dann aber vor allem an den Schmerzen im Rücken, die seit dem vergangenen Frühjahr zu ihrem ständigen unerwünschten Begleiter geworden sind. Seit jenem Sturz vom Fahrrad, am 10. Mai, in Norwegen, der Heimat ihrer Mutter. In dem Land, in dem sie sich so wohlfühlt, das für Gössner aber fast zum Alptraum geworden wäre.
Gedanken an eine Lähmung
Vier Lendenwirbel brach sie sich bei dem Unfall mit ihrem Mountainbike, eine Bandscheibe war lädiert, drei Stunden lang spürte sie ihre Beine nicht mehr. Gedanken an ein Leben im Rollstuhl tobten durch ihren Kopf, über dem Sonnenschein des deutschen Biathlon-Teams waren mit einem Schlag dunkle Wolken aufgezogen: „Ich konnte nicht aufstehen, konnte meine Beine nicht bewegen – und hab‘ in dem Moment nur gesagt: ‚Bitte lass‘ mich wieder laufen können.‘“ Das Stoßgebet der Verzweifelten wurde erhört – und für Gössner begann die Zeit der endlosen Arzttermine, Reha-Maßnahmen und des schwankenden Gemütszustands.
Dass sie Ende November beim Weltcupstart in Östersund schon dabei war, bezeichnete Bundestrainer Uwe Müssiggang als „kleines Wunder“. Die Wunder auf der Strecke blieben allerdings aus: Gössners bislang bestes Resultat in diesem Winter war Platz 47 im Sprint von Hochfilzen. Dabei ist die gebürtige Garmischerin mit ihrer Laufform durchaus d‘accord. Bei Schießen jedoch sorgt die permanente Pein im Rücken dafür, dass sie sich falsch hinlegt und die Fehlerquote bei der ohnehin etwas unsicheren Schützin steigt.
Bei den DSV-Männern, die ihren Sprint in Oberhof bereits am Freitagnachmittag angehen, muss vor allem Andreas Birnbacher, bester Deutscher der letzten beiden Winter, noch die Olympia-Norm erfüllen. Der Skijäger aus Reit im Winkl dürfte die Qualifikationskriterien aber abhaken – während Teamkollegin Gössner wegen ihrer langen Verletzungspause im Frühjahr und Sommer im Fall der Fälle auf das Wohlwollen der Verantwortlichen hoffen kann. „Ich bin“, sagt Gössner unabhängig davon, „zuversichtlich, dass ich es schaffen werde.“