Ennepetal. . Andreas Sander hat in Ennepetal das Skifahren erlernt. Nach einem Kreuzbandriss will der Abfahrer die Norm für Sotschi erfüllen. Seinen Sturz hat er inzwischen verarbeitet und will er sich “wieder hoch arbeiten, um dann die Olympianorm anzugehen.“
Ein Flachländler, ein Junge aus Ennepetal will zu Olympia. Als Andreas Sander das Skifahren auf der heimischen Teufelswiese, knapp 300 Meter über dem Meeresspiegel, erlernte, fuhren seine heutigen Konkurrenten schon Rennen auf eisigen alpinen Pisten. Das ist ungefähr so, als wenn Sebastian Vettel statt im Kart seine rennfahrerischen Talente nur im Bobby-Car geschult hätte.
Der Sportdirektor des deutschen Skiverbandes, Wolfgang Maier, nennt Andreas Sander „unseren Norddeutschen“. Wenn die besten Abfahrer der Welt am Samstag (20 Uhr/Eurosport) in Lake Louise beim ersten Weltcup den Hang hinunter rasen, geht es für Andreas Sander nicht um den Sieg oder den Sprung aufs Podium. Zweimal muss er unter die besten 15 kommen, um sich seinen sportlichen Traum, den Start bei den Winterspielen im Februar in Sotschi, erfüllen zu können.
Junioren-Weltmeister 2008
Mit 24 Jahren ist der Junioren-Weltmeister von 2008 noch ein Lehrling im Zirkus der muskelbepackten Ski-Hasardeure. Sander ist ein großes Talent, doch im Kampf um die Hundertstelsekunden auf ebenso atemberaubend steilen wie eisigen Pisten zählt nichts mehr als Erfahrung. Und so sind Tipps von den Großen der Zunft auch für Sander unersetzlich.
Didier Cuche ist der König der Streif. Fünfmal hat der 39-Jährige bei der schwersten Abfahrt der Welt in Kitzbühel triumphiert. Kurz vor seinem Rücktritt hat der Schweizer seinem jungen Kollegen verraten, wie man auf der Streif am schnellsten die Mausefalle, Lärchenschuss oder Hausbergkante bewältigt. Am Computer. Bevor er Andreas Sander aus der Theorie wieder in die Praxis entließ, nahm der kantige, kahlköpfige Walliser den 15 Jahre jüngeren Ennepetaler zur Seite. „Aber bitte probiere diese Ideallinie nicht“, sagte Cuche, ehe er hinzufügte: „Jetzt noch nicht!“
Das Gespräch zwischen dem Meister und dem Lehrling fand vor knapp drei Jahren statt. Inzwischen hat Sander große Fortschritte auf den Hochgeschwindigkeitsstrecken gemacht und fuhr schon zweimal auf Platz 16 im Weltcup. Doch ein Kreuzbandriss warf ihn im Februar 2013 weit zurück.
„Ich bin wieder fit“, sagt Sander, „durch meine Verletzungspause gehe ich allerdings zunächst mit hohen Nummern an den Start. Ich muss mich erst einmal wieder hoch arbeiten, um dann die Olympianorm anzugehen.“
Seinen Sturz hat er inzwischen verarbeitet. Im Kopf. Die größte Qualität eines Abfahrers ist das richtige Austarieren zwischen höchstmöglichem Risiko und mindestnötiger Vorsicht. Wer eine zu waghalsige Linie wählt, der landet häufiger im Fangzaun als auf dem Podium. Wer dagegen einmal zu viel bremst, hat keine Chance.
Herantasten an die Ideallinien
„Erfahrung ist am wichtigsten für einen Abfahrer“, sagt Sander, „man muss sich an die Tücken der Strecke herantasten, dann erwischt man irgendwann einen Traumlauf. Wenn man ein gutes Gefühl und Selbstvertrauen hat, fährt man von allein.“ Von Rennen zu Rennen will er sich im olympischen Winter an die Ideallinien herantasten. „Dann habe ich gute Chancen, die Olympianorm zu erfüllen.“
Wer im Ski-Zirkus mithalten will, muss Vollprofi sein. Ohne die Bundeswehr hätte Sander die Bretter schon abschnallen müssen. Tausende Euro gingen trotzdem für teure Flüge ins Trainingslager nach Südamerika drauf. Demnächst muss er nicht mehr das Privatkonto belasten. Die Tourismusregion Neusiedler See ist sein neuer Kopfsponsor: 115 Meter hoch, weit und breit kein Skilift. Ein ausgefallener Partner für den Ski-Exoten aus Ennepetal. Das passt.