Gelsenkirchen. .
Nach sieben Stunden schritt Clemens Tönnies noch einmal zum Mikrofon. Er setzte vor 9000 Mitgliedern die ernsteste Miene auf, die er zu bieten hatte, zeigte keine Freude über seine Wiederwahl in den Aufsichtsrat des FC Schalke 04 und klagte: „Wenn das der Umgang ist, den wir in Zukunft pflegen, verspreche ich, dass das die letzte Wahl ist, der ich mich gestellt habe.“ Schalke pfiff, Schalke tobte, Schalke beschimpfte, Schalke schluchzte – und kehrte bei der Jahreshauptversammlung in eigentlich vergangene Chaos-Zeiten zurück.
Die Wut-Wucht irritierte die Vereinsführung. Finanzvorstand Peter Peters (51) rutschte nach lauten „Peters-raus“-Rufen schon früh in seinem Sessel so weit nach unten, dass er kaum noch zu sehen war und sagte am Schluss leise: „Das geht mir unter die Haut.“ Marketingvorstand Alexander Jobst (39) schien sich zu fragen, warum er vor zwei Jahren seinen sicheren Job bei der Fifa in Zürich aufgegeben hatte. „Wir sind Schalker – und du nicht“, riefen Teile der Menge und sprangen wütend auf, wenn Jobst sprach.
Die Protestierenden kreideten Jobst und Peters den 3,6-Millionen-Euro-Deal mit dem Internet-Tickethändler Viagogo (siehe unten) an – ein geringer Betrag bei einem Jahresumsatz von 190,8 Millionen Euro. Viele Mitglieder der Gruppe „ViaNOgo“ schritten ans Mikro, schauten zu Tönnies und Co., erhoben ihre Fäuste und brüllten – meist sachlich, aber nicht immer fair.
Stefan Barta warf der Vereinsführung vor, „menschenverachtend“ zu handeln. Frank Zellin ergänzte mit rotem Kopf: „Sagen Sie uns, was die Scheiße kostet, wenn wir das Ding kündigen.“ Dann ergänzte Zellin: „Sie, Herr Jobst, wissen nicht, was Schalke ist. Wer Schalke nicht liebt, sollte Schalke verlassen.“ In einer Probeabstimmung votierte eine große Mehrheit gegen den Vertrag.
Jobst rechtfertigte sich sachlich: „Mal eben auf 3,6 Millionen Euro verzichten: So dicke hat es Schalke nicht.“ Mit eingeübten Gesten, die im Manuskript aufgemalt schienen, versuchte Jobst, die Mitglieder auf seine Seite zu ziehen. Das ging schief. Clemens Tönnies zeigte sich bestürzt: „Wir haben Prügel bekommen, wie ich es in 19 Jahren noch nicht erlebt habe.“
Doch diese Prügel hielten Tönnies nicht davon ab, nur wenige Minuten nach den Protesten der Wut-Schalker auf den Emotionskanal zu schalten, Sätze wie „Ich kann es nicht ab, hinter den Zecken zu stehen“ zu sagen – und die Menge mit einem Film zum Schluchzen zu bringen. Auf den Bildschirmen standen Tönnies und Peters plötzlich auf einem Soldatenfriedhof im russischen Korpowo am Grab des Meisterspielers Adolf „Ala“ Urban, der 1943 im Krieg fiel. Der Film endete, und Tönnies versprach den Mitgliedern: „Wir holen Ala nach Hause!“ Künftig ruht „Ala“ auf dem Schalke-Friedhof – und die gerührten Mitglieder wählten ihn ebenso wie Raúl in die Ehrenkabine.
Retten konnte diese Episode die Stimmung nicht mehr – denn es änderte sich nichts. Viagogo bleibt Partner. „Es ist das Gebot eines Kaufmanns, Verträge einzuhalten“, erklärte Tönnies und versprach, die Gräben „mit einem Bulldozer“ zuschütten zu wollen. Die Mitglieder entlasteten Vorstand und Aufsichtsrat deutlich. Am Ende sangen alle das Vereinslied und die Zeile: „1000 Freunde, die zusammenstehen.“ Für Sportvorstand Horst Heldt gab’s sogar Ovationen. Dabei hatte auch er dem Viagogo-Deal zugestimmt.