Washington. . Es wäre die spektakulärste Rolle rückwärts in der Radsportgeschichte: Lance Armstrong, überführter Doping-Sünder, dem alle sieben Tour de France-Siege aberkannt wurden, denkt über ein Geständnis nach - unter der Voraussetzung, dass seine lebenslange Sperre aufgehoben wird und Strafverfolgung ausbleibt.

Monatelang hat er im hawaiianischen Interims-Domizil hartnäckig geschwiegen, während ein Sponsor nach dem anderen das Weite suchte und immer mehr Geschädigte millionenschwere Schadensersatzklagen vorbereiten. Seit diesem Wochenende ist der wegen Dopings lebenslang gesperrte und nachträglich sämtlicher sieben Tour de France-Siege verlustig gegangene Ex-Radprofi Lance Armstrong wieder in den Schlagzeilen. Nach Recherchen von „New York Times“ und „Washington Post“ sondiert der 41-Jährige vorsichtig seine Chancen auf Rehabilitierung im Falle eines etwaigen Geständnisses.

Es wäre die bisher radikalste Wende in der Geschichte des größten Radsportskandals. Über zehn Jahre hatte der Texaner jeden Vorwurf nicht nur aggressiv zurückgewiesen und unter Eid bezeugt, niemals verbotene leistungssteigernde Methoden angewandt zu haben. Urheber gegenteiliger Behauptungen ließ der 1996 an Hodenkrebs erkrankte und später vollständig genesene Ausnahmesportler vor den Kadi zerren. Etliche der elf ehemaligen Team-Kollegen, die gegen ihn ausgesagt haben, setzte er massiv unter Druck. Als die US-Dopingagentur Usada im Herbst 2012 einen 1000-seitigen Bericht vorlegte, der anhand von hochkarätigen Zeugenaussagen, E-Mail-Verkehr, Kontobewegungen und Labor-Befunden jahrelang systematisch Doping nachwies, sah sich Armstrong als Opfer einer „vom Steuerzahler finanzierten Hexenjagd“.

"Die Wahrheit ist der beste Weg nach vorn"

Anlass für den Sinneswandel hin zu einer erwogenen Beichte ist nach Erkenntnissen von New York Times-Autorin Juliet Marcur zum einen der Druck von potenten Geldgebern der von ihm gegründeten Stiftung für Krebsopfer („Livestrong“), endlichen reinen Tisch zu machen. Zum anderen dränge es den fünffachen Vater zu offiziellen Wettkämpfen als Triathlet oder Langstreckenläufer, von denen er unter dem derzeit gültigen Bann der Weltdoping-Agentur ausgeschlossen ist.

Sollte Armstrong den Kontakt zu den obersten Dopingfahndern tatsächlich suchen, was sein Anwalt Tim Herman aus Austin/Texas weder bestätigt noch dementiert, steht er nicht vor verschlossenen Türen. Travis Tygart, Chef der nationalen Anti-Doping-Agentur Usada, hatte bereits vor Wochen in einem Interview gesagt: „Wir stehen ihm weiter offen gegenüber. Auch wenn es weh tut, die Wahrheit ist der beste Weg nach vorn.“ David Howman, Generaldirektor der Welt-Anti-Doping-Agentur „Wada“, ließ ebenfalls Gesprächsbereitschaft signalisieren, wenn es denn der Eindämmung des Dopings diene. Dahinter steht die Überzeugung der Funktionäre, dass nur Armstrong das komplette Geflecht derer, die über viele Jahre den Dopingmissbrauch im Profi-Radsport möglich gemacht haben, nachträglich enttarnen könnte. „Er war die Spinne im Netz“, sagte ein Beteiligter.

Ob Armstrongs Sperre nachhaltig verkürzt würde im Falle tätiger Reue, hinge nach Worten der „Wada“ von der Güte des Schuldeingeständnisses ab. Die Statuten gewähren im Falle belastbarer Hinweise bis zu 75 % Straf-Nachlass. Die Dopingfahnder haben besonderes Interesse an dem bis heute nicht vollständigen aufgeklärten Verdacht, dass der Radsport-Weltverband UCI im Jahr 2001 eine für Armstrong nachteilige Blutprobe verschwinden ließ, nachdem der Amerikaner ein Handgeld von 125 000 Dollar hinterlegt haben soll. Ob es so war, kann nur Armstrong sagen.

Gerichtsverfahren könnten Armstrong ins Gefängnis treiben

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Ob es soweit kommt, ist Zukunftsmusik. Armstrong habe „unglaublich viel zu verlieren, wenn er jetzt auspackt“, sagen US-Kommentatoren. Mehrere Gerichtsverfahren könnten Armstrong nicht nur in den Ruin treiben. Sondern auch ins Gefängnis. Ein Beispiel unter vielen: Die Versicherungsagentur SCA aus Dallas lag seit 2004 mit dem Sportler im Clinch, wollte eine Prämiere von fünf Millionen Dollar nicht auszahlen, nachdem die Reporter David Walsh und Pierre Ballester in „LA Confidential“ schwere Doping-Vorwürfe erhoben hatten. Armstrong beteuerte 2006 unter Eid, niemals gedopt und keinen Kontakt zu Doping-Arzt Michele Ferrari zu unterhalten - beides aus heutiger Sicht unwahr. SCA zahlte 7,5 Millionen Dollar an den Sportler. Und verlangt jetzt 12 Millionen Dollar zurück.

Am folgenschwersten könnte der Abschied von der Omertà in Verbindung mit einem Staatsunternehmen werden. Der US Postal Service hatte Armstrongs Rennstall zwischen 1996 und 2004 mit rund 60 Millionen Dollar unterstützt. Gekoppelt war das Sponsoring an die schriftliche Zusage: kein Doping! Pech für Armstrong: Ex-Kollege Floyd Landis legte 2010 fein säuberlich den Blick auf die von Armstrong orchestrierten Machenschaften mit verbotenen Substanzen frei. Die defizitäre US-Post will Armstrong seit Monaten zur Rechenschaft ziehen. Ein kalifornischer Bundesanwalt, der selbst dem Radsport verbunden ist, blies die ganze Sache zunächst ab.

Schadensersatzzahlungen in dreifacher Höhe drohen

Sollte das Justizministerium der Klage beitreten, kann es für Armstrong eng werden, wenn es zum Prozess kommt. Der Post winken laut Gesetz Schadensersatzzahlungen in dreifacher Höhe der damals gezahlten Summen. Landis bekäme 30 % Prämie ab. Sollte Armstrong in einem etwaigen Prozess nicht die Wahrheit sagen, drohen ihm nach US-Recht bis zu 30 Jahre Haft. Vor diesem Hintergrund rätseln Radsport-Insider, ob Armstrong wirklich die Hosen herunterlassen wird. „Ohne die informelle Zusicherung des Justizministers, den Meineid vom 2006 nicht zu verfolgen und ohne eine drastische Verkürzung der Doping-Sperren“, schlussfolgert ein kundiger Leser der Washington Post, „wird sich der größte Betrüger in der Radsportgeschichte keinen Zentimeter bewegen.“