Moskau. . Erst eine Ballade von seiner Frau, dann ein blutiger Kampf gegen seinen Herausforderer: Der WM-Fight in Moskau dürfte Witali Klitschko in Erinnerung bleiben, doch ein würdiger Abschluss seiner Karriere war er nicht. Seine Rückkehr in den Ring gilt als sehr wahrscheinlich. Erzfeind David Haye wartet schon.
In seinem Blutrausch wollte Manuel Charr das bittere Ende seines Lebenstraumes einfach nicht wahrhaben. Der „Koloss von Köln“ trat mit blutverschmiertem Körper wild um sich und forderte Witali Klitschko immer wieder energisch zum Weiterkämpfen auf. Erst als der souveräne Schwergewichts-Weltmeister den 14 Jahre jüngeren Herausforderer tröstend an die Hand nahm und diese nach oben reckte, beruhigte sich Charr ein wenig.
Bei Klitschko dürfte spätestens in diesem Moment der Gedanke gereift sein, dass der Sieg im WM-Kampf von Moskau gegen den hoffnungslos unterlegenen Charr durch technischen K.o. in der vierten Runde kein würdiger Abschied von der großen Box-Bühne gewesen sein kann. Der WBC-Champion, der sich nach dem 45. Sieg im 47. Profikampf vorerst in die Politik zurückzieht, wich Fragen nach seiner sportlichen Zukunft zwar aus, doch Ehefrau Natalia hat so eine Ahnung.
Charr sang das Opferlied
„Ich habe gehofft, dass es der letzte Kampf sein würde, aber mein Bauchgefühl sagt mir: Das war nicht das letzte Mal“, sagte die Hobby-Sängerin, die vor dem Fight den Showact bestritten und für ihren Mann eine Remix-Version des Songs „The Power of Love“ von Jennifer Rush gesungen hatte.
Charr sang auch - und zwar das Opferlied. Bei der Pressekonferenz war der Auslöser des Abbruchs - ein tiefer Cut über Charrs rechtem Auge - zwar gut abgedeckt, doch die emotionale Wunde noch längst nicht verheilt. Der Wahl-Kölner spielte sich als moralischer Sieger auf, dabei hatte ihn Klitschko bis zum Abbruch klar beherrscht und in der zweiten Runde sogar auf die Bretter geschickt.
David Haye wartet
„Diesen Kampf hat nicht Witali gewonnen, sondern der Ringarzt. Meine Leute hätten die Blutung locker stoppen können, und ich hätte Witali in der zweiten Hälfte geknackt. Ich habe die Angst in seinen Augen gesehen“, sagte Charr in einem Anflug von Größenwahn, um im nächsten Atemzug sein großes Idol kleinlaut um einen Rückkampf regelrecht anzuflehen: „Ich bitte dich: Erfülle mir diesen Traum!“
„Dr. Eisenfaust“ konnte sich gut in den jungen Herausforderer hineinversetzen, schließlich erging es ihm in der legendären Ring-Schlacht 2003 gegen Lennox Lewis ähnlich - auch wenn er damals anders als Charr nach Punkten vorne gelegen hatte, ehe ihn die Ärzte stoppten. „Als Sportler verstehe ich dich, aber die Gesundheit geht vor. Du solltest das Urteil akzeptieren“, sagte der 41-Jährige.
Das tat Charr nicht. Sein Management kündigte an, Einspruch einlegen zu wollen, weil der 27-Jährige zur Begutachtung durch einen Ringarzt nicht in seine blaue, sondern in Klitschkos rote Ecke geschickt worden war. Thomas Pütz, Präsident des Bundes Deutscher Berufsboxer (BDB), erklärte jedoch, dass das keine Regelverletzung gewesen sei.
Einen Rückkampf wird es definitiv nicht geben
Ringarzt Stefan Holthusen verteidigte seine Empfehlung zum Kampfabbruch, der Ringrichter Guido Cavaleri (Italien) gefolgt war. Es sei viel Blut ins Auge gelaufen, Charr hätte keine freie Sicht mehr gehabt. „Bei weiteren Treffern wäre das Augenlid gefährdet gewesen und letztendlich auch das Augenlicht“, sagte der 61-Jährige. Laut Reglement dürfe der Cut nur in der Rundenpause behandelt werden.
Einen Rückkampf wird es definitiv nicht geben. „Du hattest deine Chance“, sagte der Klitschko an den Kölner gerichtet: „Kannst du dir vorstellen, wie viele Leute gegen mich boxen wollen?“ Einer davon ist David Haye. Der britische Skandalboxer stellte sich auf Charrs Seite und warf Klitschko erneut den Fehdehandschuh hin.
„Der Kampf hätte weitergehen müssen. Witali sollte sich schämen, es war eine schlechte Leistung“, sagte der Erzfeind der Klitschko-Brüder bei RTL: „Die Leute wollen sehen, dass du gegen mich boxt. Lass es uns machen! Das wird der größte Kampf in der Boxgeschichte.“
Das vielleicht nicht, aber mit keinem anderen Schwergewichtskampf könnte man derzeit mehr Aufmerksamkeit erreichen - und natürlich Geld verdienen. Es ist bekannt, dass Klitschko vor seinem nahenden Karriereende unbedingt Haye vor die Fäuste bekommen will. „Ich wollte ihn hier in Moskau boxen, aber er hat Dereck Chisora vorgezogen. Er ist sehr unzuverlässig“, sagte der K.o.-König.
In den kommenden Wochen hat Klitschko aber andere Sorgen. Der Vorsitzende der UDAR-Partei wird sich voll und ganz dem Wahlkampf für die ukrainischen Parlamentswahlen am 28. Oktober widmen. Alles deutet auf einen Einzug in die Werchowna Rada hin, doch die Boxfans werden „Dr. Eisenfaust“ wohl noch mindestens einmal im Ring sehen. „Der nächste Kampf wird sicherlich irgendwann kommen“, sagte Klitschko-Trainer Fritz Sdunek. (sid)