London. Die Förderung der Behindertensportler lässt konsequente Nachwuchsarbeit nicht zu. Der Deutsche Behindertensportverband erhält vom Innenministerium 2,6 Millionen Euro im Jahr, für Lehrgänge, Material, Betreuer und inzwischen sechs hauptamtliche Trainer. Eine Mittelerhöhung ist nicht absehbar.

Vielleicht liegt es an der Debatte um Medaillenvorgaben und staatliche Förderung des olympischen Sports, dass Karl Quade in London etwas verhaltener auftritt. Jeden Abend berichtet der Chef de Mission in einer Pressekonferenz von den Erfolgen des deutschen Paralympics-Teams. Er listet Medaillen ausführlich auf und beendet seinen Kurzvortrag mit dem Zusatz, dass Medaillen ja eigentlich gar nicht so wichtig seien.

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Einerseits möchten sich die Paralympier von der olympischen Ergebnisindustrie abgrenzen, andererseits wollten sie schon immer an Leistungen gemessen werden. „Die Sportler wollen persönliche Bestleistungen aufstellen“, sagt Karl Quade. „Dafür werden die Rahmenbedingungen immer besser, also können auch ihre Leistungen besser werden.“

Vor allem der paralympische Leichtathletik-Stützpunkt in Leverkusen verdeutlicht, wie leistungsorientierte Förderung aussehen kann, unter anderem wegen der Trainerin Steffi Nerius, die 2009 Speerwurf-Weltmeisterin wurde und dreimal an Olympischen Spielen teilgenommen hat. „Wir arbeiten in Leverkusen mit den nichtbehinderten Athleten zusammen, wir motivieren und duellieren uns“, sagt Heinrich Popow, der über 200 Meter Bronze gewonnen hat. „Wir können Beruf und Training perfekt aufeinander abstimmen“, ergänzt der gelernte Orthopädie-Techniker Markus Rehm. Der 23-Jährige, dem nach einem Wakeboard-Unfall der rechte Unterschenkel amputiert worden war, gewann am Freitag Gold im Weitsprung. Sein Weltrekord über 7,35 Meter lässt einen Start bei den Nichtbehinderten realistisch erscheinen. Mit seiner Weite wäre er dort bei der DM Achter geworden.

Rehm und Popow gehören zu den 52 Mitgliedern des sogenannten paralympischen Top-Teams. Das Konzept geht auf eine Initiative des ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler zurück. Medaillenkandidaten erhielten von Sponsoren über vier Jahre monatlich bis zu 1500 Euro Verdienstausfall für ihre Arbeitgeber, eine Grundförderung von 250 Euro und 500 Euro für Geräte oder Trainingslager. „Das gibt uns Sicherheit, und wir können mittelfristig planen“, sagt Rehm.

Im Ausland herrschen andere Modelle

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„Das ist ein Fortschritt und für viele unverzichtbar“, sagt die Athletensprecherin Manuela Schmermund, aber reich werde man mit diesen Beträgen nicht. Die Nationen, die im Medaillenspiegel vorn liegen, stützen sich auf andere Modelle: China,  Ukraine und Russland haben mächtige politische Unterstützer  und erhalten fast ausschließlich staatliche Förderung. Die Briten beziehen ihr Geld aus Lotterieeinnahmen, die USA verlassen sich auf das Sponsoring großer Konzerne. Der Deutsche Behindertensportverband erhält vom Innenministerium 2,6 Millionen Euro im Jahr, für Lehrgänge, Material, Betreuer und inzwischen sechs hauptamtliche Trainer. Eine Mittelerhöhung ist nicht absehbar.

So sind oft hohe Privatausgaben erforderlich. „Im Nachwuchs scheitert Sport oft am Geld“, sagt Manuela Schmermund. „Es kann nicht sein, dass Jugendliche von Trainern erst einmal gefragt werden, wie hoch der Lohn ihrer Eltern ist.“ Der nächste Entwicklungsschritt müsse es sein, den Talenten einen leichteren Weg an die Spitze zu ebnen. „Wir haben noch keine Grundlage im Breitensport“, sagt Heinreich Popow. „Vieles passiert aus Zufall.“ Als er mit Sport beginnen wollte, wollten ihn Klub-Betreuer zum nächstgelegenen Rollstuhlbasketballklub „abschieben“. Popow und sein Klubkollege Markus Rehm engagieren sich stark in der Nachwuchswerbung. „Wir sind inzwischen auch Leichtathleten.“ Für ihn ist der Begriff Behindertensport aus der Zeit gefallen.

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