London. David Storl stößt bei seiner Olympia-Premiere die Kugel auf 21,86 Meter. Da der Pole Tomasz Majewski drei Zentimeter drauf packt, muss sich der Deutsche mit Silber begnügen. Doch Storl gehört die Zukunft.

David Storl hatte für sein Olympia-Finale einen Plan wie ein Western-Held. Reingehen in den Saloon und erstmal den bösen Jungs die Whiskeyflasche über den Kopf hauen. Dann ist Ruhe. Übersetzt ins Kugelstoßen heißt das: Im ersten Versuch die Kugel am besten über die 22-Meter-Marke wuchten, damit die Konkurrenz sprachlos ist. Ein guter Plan, der am Freitagabend fast perfekt aufgegangen wäre. Am Ende fehlen dem 22-Jährigen aus Chemnitz drei Zentimeter zum Gold.

Mit 21,86 Meter gewinnt er Silber hinter dem Polen Tomasz Majewski, der auf 21,89 Meter kommt. Drei Zentimeter, eigentlich ärgerlich, doch Storl strahlt: „Eine Medaille bei Olympia, super.“ Er hat Recht, er hat Zeit. Er ist jung, Majewski ist neun Jahre älter als er. Die Zukunft im Kugelstoßen gehört Storl.

Nach der Qualifikation am Vormittag hatte der Chemnitzer noch gesagt: „Ich war verdammt nervös bei meinem ersten Olympia-Auftritt, aber das wird am Abend schon anders.“ Es wurde anders.

Storl lässt das Eisen fliegen

Storl betritt den Ring zum ersten Versuch mit Entschlossenheit im Blick. Die Kugel verschwindet fast in seinen Händen der Größe King Size. Dann lässt er das Eisen fliegen: 21,84 Meter. Mehr als einen halben Meter weiter als der Rest der Welt.

Die drei Amerikaner, die in diesem Jahr die Bestenliste anführen, schauen sich entgeistert an. Sie nehmen im zweiten Versuch die Dreharbeiten auf. Alle drei arbeiten mit der Drehstoßtechnik, aber sie kommen offensichtlich mit dem Ring im Olympiastadion nicht zurecht. Sie holen den halben Meter Rückstand an diesem Abend nicht auf.

Majewski ist ein Kleiderschrank auf zwei Beinen

Storl hat einen anderen Gegner. Es ist der Pole Tomasz Majewski. Der Olympiasieger von Peking ist ein Kleiderschrank auf zwei Beinen, der das Kopftuch wie ein Pirat gebunden hat und die langen Haare zu einer Art hohen Zopf geflochten hat. Im zweiten Versuch landet der Pole bereits bei 21,72 Metern. Storl schaut beim dritten Versuch nicht hin. Majewski feuert die Kugel heraus. Das Eisen scheint mehrere Zeitzonen zu durchfliegen, bevor es im Boden einschlägt. 21,87 Meter. Ein Zentimeter weiter als der Versuch von Storl.

Im Lager des 22-Jährigen behalten sie die Nerven. Storl ist Weltmeister von Daegu und Europameister von Helsinki. Sein Trainer Sven Lang sagt: „Wenn es im Finale drauf ankommt, sind wir da. Offensichtlich haben wir ein Händchen dafür, auf den Tag genau vorbereitet zu sein."

Storl steht vor dem vierten Versuch neben dem Ring. Ein kurzer Trocken-Versuch. Er blickt in den Himmel, der längst schwarz über dem Stadion liegt. Seine Oma Adelheid ist vor einer Woche im Alter von 64 Jahren an einem Gehirnschlag gestorben. Storl war schon in London, einen Tag später war sein 22. Geburtstag. Seine Großmutter war sein größter Fan. „Ich werde im Wettkampf an sie denken“, hat Storl gesagt.

Der vierte Versuch ist ungültig

Er geht in den Ring. Der vierte von sechs Versuchen ist ungültig. Die Weite hätte nicht zur Führung gereicht. Auch Majewski macht seinen vierten Versuch ungültig. Als er sieht, dass die Kugel an der 21-Meter-Linie gekratzt hat, setzt er einen Fuß vorne aus dem Ring. Rote Fahne, ungültig.

Es wird laut im ausverkauften Stadion, die fast 80.000 Zuschauer begrüßen die 10.000-m-Läuferinnen, die zum Finale auf die Bahn kommen. Storl ist mit seinem fünften Versuch an der Reihe. Ungültig. Auch Majewski verbessert sich nicht. Die Konkurrenz spielt längst keine Rolle mehr. Der US-Amerikaner Reese Hoffa ist mit 21,23 Dritter. Es kommt auf den letzten Versuch an.

Storl ist zuerst an der Reihe. Es reicht nicht mehr zum Gold, die Kraft ist weg. Silber! Majewski steigert sich tatsächlich noch um einen Zentimeter. 21,89 Meter sind: Gold!