Tourrettes. Die 3:5-Niederlage der deutschen Nationalmannschaft im vorletzten EM-Test gegen die Schweiz wirft jede Menge Fragen auf.

Wenn die Nationalspieler am Tatort nicht so dramatisch viele Spuren hinterlassen hätten, wären sie garantiert mit einem blauen Auge davongekommen. Die zeitlichen Umstände waren schließlich günstig. Pfingsten, langes Wochenende, angefüllt mit Bildern, die von einem entspannten Hubschrauber-Sonntagsausflug zu den Rivalen der Rennbahn in Monaco erzählen. Üblicherweise schrumpft das kollektive Gedächtnis auf Erbsengröße, wenn frische Eindrücke dieser Qualität heranstürmen. Für diesen Fall aber gilt: Die Ermittlungen laufen weiter auf Hochtouren. Zu klären ist, ob es sich bei der 3:5-Niederlage der deutschen Auswahl am Samstag in der EM-Testpartie gegen die Schweiz um ein schweres, ein mittelschweres oder doch nur ein leichtes Verbrechen handelte.

Was für die Schwere der Tat spricht: Nach 56 Jahren wurde erstmals wieder gegen eine Auswahl des kleinen Alpenlandes verloren. Diese Niederlage wurde ausgerechnet in einer Ära eingefahren, in der Gegner dieser Kategorie nicht mehr als Fast Food sein sollten, der Happen für zwischendurch. Und fünf Gegentreffer hat man zuletzt 2004 hinnehmen müssen, in einem Spiel in Bukarest gegen Rumänien, das unter der Kapitelüberschrift Olli-allein-im-Bus im Fußball-Geschichtsbuch zu finden ist, weil Oliver Kahn seinerzeit Runde zwei im Teamgefährt durchschmollte.

Für die EM 2012, diese mit der allerhöchsten Erwartung überfrachtete EM, lässt sich das als böses Omen deuten. Mit 1:5 wurde gegen die Rumänen im April verloren, in der Vorbereitungsphase auf die EM in Portugal, die im Desaster endete und den WM-Zweiten von 2002 und Volkshelden Rudi Völler um das Amt brachte. Sollte die aktuelle Mannschaft in Polen und der Ukraine auch nur annähernd so auftreten wie in der Schweiz, ist ein ähnliches Szenario für Joachim Löw durchaus denkbar. Der Bundestrainer hat allerdings erklärt, dass düstere EM-Visionen unangebracht seien, und um die Berücksichtigung mildernder Umstände gebeten. Acht Akteure des FC Bayern, die Kerngruppe, erst Samstagabend in der Provence dazugestoßen. Mehr als zwei Wochen Training in den Knochen. Fazit: „Wir machen uns keine allzu großen Sorgen. Wir werden schon richtig in die Spur kommen.“

Der Fehlerberg, den sein Ensemble im St. Jakobs-Park aufgeschüttet und mit einem Gipfelkreuz (3:5!) besetzt hat, über den kann man jedoch auch nicht leichtfüßig hinweggehen. Einzig der eingewechselte Marco Reus (Schütze des dritten Tores) konnte überzeugen, konnte sich als Alternative zu den zu erwartenden EM-Stammkräften aufdrängen. Ansonsten: Zu erwartende Stammkräfte wie Lukas Podolski, Mesut Özil, und Sami Khedira verblassten im Sonnenschein. Zu erwartende, aber noch mit den Nachwirkungen von Verletzungen ringende Stammkräfte wie Miroslav Klose und Per Mertesacker blieben wirkungslos (Miro) oder beteiligten sich rege an den Aufschüttungsarbeiten (Merte). Im Stammkraftrennen bis dahin aussichtsreiche Kandidaten wir Benedikt Höwedes, Mats Hummels (Schütze: Tor eins) und Marcel Schmelzer liefen rückwärts. Und ihren Ruf als Goldstücke der Bank konnten auch Mario Götze und Andre Schürrle (Schütze: Tor zwei) nicht verteidigen.

Der Tröstungsversuch

Einen Tröstungsversuch hat Löw noch am Flughafen unternommen. Auf Marc-Andre ter Stegen, den jungen Torhüter, der bei seinem Debüt Treffer von Eren Derdiyok (3), Stephan Lichtsteiner und Admir Mehmedi hinnehmen musste und bei (mindestens) einem davon eine sehr unglückliche Figur machte, redete der Bundestrainer rührend ein. Als gesichert geltender Tenor: tolle Zukunft. Für die Gegenwart darf dagegen festgehalten werden: Der Gladbacher wird wohl nicht mit zur EM reisen, und auch Julian Draxler, der blutjunge Schalker, und die Zwillinge Lars und Sven Bender (oder einer von ihnen und Ilkay Gündogan) müssen damit rechnen, dass sie Dienstag aus dem erweiterten EM-Kader gestrichen werden.

Mitnehmen kann die Viererbande dann aber immerhin die Erfahrung, dass Nationalelf sich nicht immer gut anfühlen muss, dass Nationalelf auch bedeuten kann, als (Übel-)Täter identifiziert zu werden. Ein Urteil kann übrigens nur rückwirkend gesprochen werden, nach dem Sammeln weiterer Hinweise am Donnerstag in Leipzig bei der Testpartie gegen Israel und vor allem anderen beim ersten EM-Spiel am 9. Juni. Ein Sieg gegen Portugal, und Basel… – Basel? Was war da noch gleich?