München. Philipp Kohlschreiber gewann in München und düste gleich weiter nach Madrid. Früher hätte er weitere große Taten angekündigt, heute hält er sich zurück. „Ich gehe davon aus, dass Wochen kommen, in denen ich vielleicht wieder früher ausscheiden werde“, sagt Kohlschreiber.
Manche Dinge ändern sich. Vor fünf Jahren, nach dem ersten Titelgewinn in München, hatte Philipp Kohlschreiber mit einem Gläschen Sekt angestoßen, diesmal entschied er sich für mexikanisches Bier. Glückwunsch, Prost, alles Gute weiterhin. Und weg war er.
Es gehört zu den weniger schönen Seiten des Berufs als Tennisprofi, dass man sich nicht allzu lange über einen Titel freuen, geschweige denn richtig feiern kann. Meist wartet schon der Flieger zum nächsten Turnier, und so war es auch diesmal. Alsbald machte sich Kohlschreiber auf den Weg nach Spanien, wo er heute zum Auftakt der Madrid Open gegen den Franzosen Gael Monfils spielen wird.
Ein anderes Getränk
Aber nicht nur das Getränk war ein anderes beim ersten Titel – damals tönte er: „Ich fühle mich, als ob ich Bäume ausreißen könnte – für die nächsten zwei Tage bin ich der King.“ Es schien so, als sei dieser Sieg ein Versprechen auf weitere Taten, doch das von ihm immer wieder erwähnte große Ziel, auf einem Platz unter den besten 20 der Weltrangliste zu landen, erreichte er nie; Nummer 22 wurde es im November 2009.
Der zweite Titel bei den BMW Open hat ihn wieder nah heran gebracht, auf Platz 25. Aber von diesem Denken in Zahlen und Positionen hat er sich inzwischen verabschiedet und auch von allzu kecken Prognosen. „Ich war ja früher immer ein bisschen vorlaut“, sagt Kohlschreiber. Vorlaut und wechselhaft, wie viele fanden. Es passierte immer wieder, dass er nach einem tollen Spiel im nächsten in der Versenkung verschwand; Konstanz gehörte nicht zu seinen Qualitäten. Anstatt sich auf jeden Ballwechsel im Spiel so zu konzentrieren, als sei es der letzte seiner Karriere, sann er über das große Ganze, Sieg und Niederlage nach, und dabei stand er sich selbst im Weg. Er glaubt, das sei nun anders. Vielleicht liegt es daran, dass er mit 28 Jahren ein wenig reifer geworden ist, vielleicht auch daran, dass er in der Zeit zwischen dem ersten und dem zweiten Titel beim ATP-Turnier in München Lehrgeld bezahlen musste.
Dazu gehörte die Entscheidung im Jahr 2010, die „Tennis-Base“ in Oberhaching vor den Toren Münchens zu verlassen, wo er zuvor mehr als zehn Jahre lang trainiert hatte. Aber wie das mit Trennungen manchmal so ist – aus der Entfernung wird vieles deutlicher, und so führen sie im besten Fall zurück zum Start. Nach einem miserablen Jahr 2011 mit drei Erstrunden-Pleiten bei den Grand-Slam-Turnieren – und dem Sieg bei den „Gerry Weber Open“ in Halle als einem der wenigen Lichtblicke – meldete er sich wieder in Oberhaching an.
Mut zum Risiko
Die Konkurrenz der Kollegen Florian Mayer und Philipp Petzschner brachte ihn in der Zeit der Vorbereitung auf die Saison 2012 auf Trab. Kurzum: „Oberhaching tut mir richtig gut. Meine Aggressivität im Spiel ist wieder da, und ich bewege mich auch wieder besser.“
Im Münchener Finale gegen Marin Cilic überzeugte er wie tags zuvor beim Sieg gegen Feliciano Lopez auch in kritischen Momenten. Er schlug bemerkenswert gut auf, leistete sich den Mut zum Risiko, und wenn es schief ging, ließ er nicht den Kopf hängen, sondern sammelte seine Kraft für den nächsten Versuch. Man dürfe sich keine wirren Gedanken während eines Spiels machen, meinte er hinterher. Die Erkenntnis kommt spät, aber womöglich wird sie ihm noch von Nutzen sein.
Vielleicht auch in dieser Woche in Madrid? Der „King“ des Jahres 2007 hätte sicher angekündigt, er wolle nun gleich nachlegen. Der Knappe des Jahres 2012 sagt: „Ich gehe davon aus, dass Wochen kommen, in denen ich vielleicht wieder früher ausscheiden werde. Und wenn es nicht läuft, dann werde ich mich nicht verrückt machen.“
Den Versuch ist es wert. Weiteres zu diesem Thema demnächst aus Madrid, aus der Caja Mágica, der Zauberkiste mit dem blauen Sand.