Die Tennisspielerin verbessert sich in der Weltrangliste innerhalb weniger Monate von Rang 107 auf 14 - Rücktrittsgedanken verdrängt - Am Wochenende im Fed Cup gesetzt Die Tennisspielerin Angelique Kerber spricht im Interview über ihren neuen Arbeitsethos, über ihre Rücktrittsgedanken im vergangenen Jahr und ihre Träume
Es dauert einige Zeit, bis der Fotograf zufrieden ist. Ihr blonder Zopf überdeckt das DTB-Logo. Angelique Kerber wirft ihr langes Haar nach hinten. Jetzt passt das Motiv. Die 24-Jährige macht in diesen Tagen viele neue Erfahrungen. Erstmals steht sie nach dem Turniersieg in Kopenhagen im Rampenlicht, jeder reißt sich vor der Fed-Cup-Partie in Stuttgart gegen Australien um sie. Ihr gefällt die gestiegene Aufmerksamkeit. In diesem Jahr haben nur die Weltranglistenerste Viktoria Azarenka und Agnieszka Radwanska erfolgreicher gespielt. Falls sich die Fed-Cup-Chefin Barbara Rittner für Julia Görges im zweiten Einzel entscheidet, führt sie sogar die deutsche Mannschaft als Nummer eins gegen Australien an.
Der Tennisspielerin aus Kiel scheint der ganze Trubel um ihre Person allerdings nicht sonderlich zu beeindrucken, im Gegenteil. "Ich genieße das eher", sagt sie im Interview mit der Nachrichtenagentur dapd: "Den größten Druck mache ich mir sowieso selber."
Zwtl.: Familie überredet sie zum Weitermachen
Den Aufstieg von Angelique Kerber in den vergangenen Monaten als wundersam zu bezeichnen, ist nicht untertrieben. Im Juli des vergangenen Jahres war die Linkshänderin in der Weltrangliste noch auf Rang 107 notiert, mittlerweile liegt sie auf dem 14. Platz. Vor allem nach Wimbledon war sie ziemlich deprimiert - die Niederlage gegen Laura Robson war die elfte Erstrundenniederlage im Jahr 2011. Sie begann zu zweifeln und viel schlimmer noch: an sich zu zweifeln. Sie dachte sogar daran, die Profitour nach den vielen negativen Erfahrungen zu verlassen.
"Ehrlich gesagt hat es diese Gedanken, ob ich vielleicht etwas anderes machen sollte, nach Wimbledon gegeben", sagt Kerber. Dass es dazu dann doch nicht gekommen ist, lag auch an der Unterstützung ihrer Familie, die ihr auf den Weg gegeben hatte: Kind, überleg dir gut, was du tust und mach nur das, was du wirklich machen willst. Danach sagt Kerber, stand für sie fest, dass sie es noch mal probiert.
Nur: Es musste sich etwas ändern, im Grunde genommen musste sich sogar alles ändern. Der Neustart war nötig. Das Kind polnischer Eltern war immer eine Spielerin, die von ihrer besondern Begabung gelebt hatte. Von ihrem formidablen Ballgefühl. Es reichte aus, um unter die besten 50 Spielerinnen der Welt zu kommen. Sie war eine Profi-Spielerin mit Hang zur Sorglosigkeit. Um die Fitness kümmerte sie sich eher wenig. Auch einen Trainer, der mit ihr um die Welt tingelte, hatte sie nicht. "Zuvor war alles chaotisch", sagt Kerber selbst. Der Wendepunkt zum Guten kam erst mit dem Schritt nach Offenbach, wo sie in der Tennisakademie von Rainer Schüttler und Alexander Waske die konditionellen Grundlagen für ihren Aufstieg legte. "Ich habe dort gelernt, über meine Grenzen zu gehen", sagt Kerber heute. Jahrelang hatte sie sich erfolgreich vor dem auf der Tour notwendigen Arbeitsethos gedrückt. "Ich wollte mich nicht quälen."
Zwtl.: Rittner lobt ihre neue Reife
Doch nach dem dreiwöchigen Aufenthalt in Offenbach merkte sie schnell, dass ihr die intensive und teilweise brutale Schinderei gut tat. Sie erreichte das Halbfinale in Dallas, und das beim letzten Grand-Slam-Turnier des Jahres in New York. "Von da an wusste ich, dass ich jede Spielerin der Welt schlagen kann", sagt Kerber.
Im Februar dieses Jahres folgte in Paris ihr erster Turniersieg. Es war in der Woche nach dem verlorenen Fed-Cup-Spiel gegen Tschechien. Kerber hatte als einzige ein Einzel gewonnen. "Mir geht das Herz auf, wenn ich jetzt sehe, dass sie endlich ihr Potenzial ausschöpft", sagt Fed-Cup-Chefin Barbara Rittner gegenüber dapd. Sie hatte oft vergeblich auf sie eingeredet. Kerber sei auch menschlich "gereift und hat sich geöffnet", wie Rittner sagt.
Wo ihre Entwicklung eines Tages enden wird, vermag niemand zu sagen. Für Tennislegende Martina Navratilova hat Kerber "keine Grenzen". Kerber lächelt, als sie das hört und sagt, dass sie nicht an die Weltrangliste denke. Viel lieber spricht sie von ihrem Traum, "eines Tages das Endspiel eines Grand-Slam-Turniers erreichen zu wollen". Doch zunächst einmal will sie der deutschen Mannschaft gegen Australien zum Klassenverbleib in der Weltgruppe verhelfen. Sie würde dann wieder im Mittelpunkt stehen. Und die Fotografen hätten ein noch schöneres Motiv.
Stuttgart (dapd). Angelique Kerber ist gerade die erfolgreichste deutsche Tennisspielerin. Zuletzt hat die Weltrangliste-14. das Turnier in Kopenhagen gewonnen. Am Wochenende soll die 24-Jährige in Stuttgart nun die deutsche Mannschaft im Fed Cup zum Klassenverbleib gegen Australien führen. dapd-Korrespondent Matthias A. Schmid hat mit Kerber über ihren wundersamen Aufstieg gesprochen.
dapd: Frau Kerber, Sie sind nach Ihrem Turniersieg in Kopenhagen am Montag mit dem Auto von Kiel nach Stuttgart gefahren. Ging es nicht bequemer mit dem Flugzeug?
Angelique Kerber: Das war lange schon so geplant. Und ich werde ja nicht nur zum Fed Cup in Stuttgart sein, sondern anschließend auch beim Porsche-Grand-Prix spielen. Und da dachte ich mir, wenn ich schon zwei Wochen in Stuttgart bin, ist ein Auto vor Ort nicht das schlechteste.
dapd: Sie bekommen vom Veranstalter einen Sportwagen gestellt.
Kerber: Das wusste ich nicht, ich war schon lange nicht mehr in Stuttgart beim Turnier, mein letzter Auftritt muss vier oder fünf Jahre zurückliegen.
dapd: Erst jetzt kommen Sie auch mit ihrem Ranking direkt ins Hauptfeld. Im vergangenen Jahr waren Sie im Sommer noch die 107 der Weltrangliste, mittlerweile sind Sie auf Rang 14 notiert. Haben Sie damals nach ihrer deprimierenden Erstrundenniederlage in Wimbledon daran gedacht, die Profitour zu verlassen.
Kerber: Ehrlich gesagt hat es diese Gedanken, ob ich vielleicht etwas anderes machen sollte, nach Wimbledon gegeben. Ich hatte elfmal in der ersten Runde verloren. Da kommt man ins Grübeln. Aber es war immer in meinem Herzen, dass ich weiter Tennis spielen möchte. Es musste sich nur etwas ändern. Meine Familie stand in der schweren Zeit hinter mir. Sie hätten auch nichts dagegen gehabt, wenn ich aufgehört hätte. Aber gleichzeitig haben sie gesagt: Überleg’ es dir gut und lass’ dir Zeit, wenn es sein muss auch ein halbes Jahr. Tue nur das, was du auch wirklich machen möchtest. Danach stand für mich fest, dass ich es noch mal probieren wollte.
dapd: Aber dann mit dem auf der Profitour notwendigen Arbeitsethos?
Kerber: Richtig, und vor allem mit kontinuierlichem Training und einem Trainer, der mich ständig auf der Tour begleitet. Zuvor war das alles chaotisch. Ich habe ja früher auch trainiert, aber nach zwei Wochen Konditionstraining dachte ich, das reicht nun für die nächsten zwei Monate.
dapd: Dass man es anders machen sollte, haben Sie an der Akademie von Rainer Schüttler und Alexander Waske in Offenbach erfahren, wohin Sie dann nach dem Turnier in Bastad gegangen sind. Wie musste man sich denn Ihre ersten Tage dort vorstellen?
Kerber: Ich bin fast gestorben, weil es so anstrengend war. Ich bin abends todmüde ins Bett gefallen. Eigentlich wollte ich schon früher nach Offenbach gehen, doch ich habe es immer wieder hinausgezögert.
dapd: Und dann sind sie so sogar gleich dort geblieben?
Kerber: Ja, ich wollte mir das eigentlich zunächst einmal ein paar Tage anschauen. Aber als ich dann schon mal da war und mittrainiert habe, dachte ich mir, jetzt kannst du auch gleich drei Wochen bleiben. Und es war echt anstrengend. Vom Kopf her war ich nach den vielen Niederlagen eh schon am Ende, irgendwie leer. Und dann kamen diese knallharten Konditionseinheiten noch dazu.
dapd: Und was war mit dem Schlagtraining?
Kerber: Das kam erst Wochen später hinzu. Es war ja kein Tennisproblem, was ich hatte, sondern ein Fitnessproblem. Tennisspielen konnte ich ja.
dapd: Sechs Wochen später erreichten Sie in Dallas auf Anhieb das Halbfinale.
Kerber: Als meine Mutter und ich dort ankamen, gab es Temperaturen von 40 Grad. Und ich musste auch noch in die Qualifikation. Ich habe ihr dann gesagt, wenn ich hier zwei Runden überstehe, mache ich fünf Kreuze, denn das halte ich hier konditionell nicht aus. Ich kam dann ins Halbfinale und habe gemerkt, dass mir das harte Training in Offenbach doch etwas gebracht hat.
dapd: Und der Höhepunkt sollte mit der Halbfinalteilnahme bei den US Open in New York noch folgen. Warum hat es dann bei Ihnen länger als bei anderen gedauert, bis sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass man als Profispielerin ziemlich hart arbeiten muss?
Kerber: Ich habe jahrelang versucht, mich davor zu drücken. Ich wollte mich nicht quälen, weil es ja spielerisch ausgereicht hat, um unter die Top 50 zu kommen.
dapd: War es im Nachhinein vielleicht ein Problem, dass Ihnen alles so leicht zugeflogen ist?
Kerber: Irgendwann hat es nicht mehr gereicht und das habe ich dann auch gemerkt. Und ich wollte nicht eine von vielen sein. Ich wusste halt auch, dass ich mehr Potenzial habe, das haben mir auch immer wieder viele Leute bestätigt. Ich habe zum Glück aus meinen Erfahrungen gelernt und sage mir heute: Besser später als gar nicht.
dapd: In der Tat: Nur die Weltranglistenerste Viktoria Azarenka und Agnieszka Radwanska haben in dieser Saison bisher mehr Siege aufzuweisen als Sie. Ihnen fehlt nicht mehr viel zu den Topspielerinnen?
Kerber: Natürlich macht mich das stolz, dass ich im Moment da oben dabei bin. Aber was mir wirklich interessiert, ist nicht die Weltranglistenposition, sondern dass ich diese Leistungen konstant bei jedem Turnier bringen kann.
dapd: Trauen Sie sich mittlerweile auch das Finale bei einem Grand-Slam-Turnier zu?
Kerber: Natürlich ist es auch mein Traum, eines Tages das Endspiel bei einem Grand Slam zu erreichen. Aber dazu muss alles zusammen kommen.
dapd: Würden Sie denn noch hier als Profispielerin sitzen, wenn Sie damals nicht nach Offenbach gegangen wären?
Kerber: Ich denke schon, dass ich noch Tennis spielen würde. Auf welchem Level weiß man natürlich nicht. Aber natürlich hat mir das sehr geholfen. Ich habe dort gelernt, über meine Grenzen zu gehen.
dapd: Martina Navratilova sagt, dass Sie im Tennis keine hätten. Schmeichelt Ihnen das, wenn solche Größen plötzlich über Sie sprechen?
Kerber: Natürlich. Sie kommen jetzt nach den Matches zu mir und beglückwünschen mich zu meiner Leistung oder schreiben mir sogar E-Mails. Am Anfang war das natürlich komisch für mich, eine vollkommen neue Situation, mit der man sich erst einmal zurechtfinden muss. Mittlerweile kann ich damit gut umgehen und es fühlt sich normal für mich an, wenn mich die Großen der Branche ansprechen.
dapd: Das ist eine ziemlich lehrreiche Zeit für Sie im Moment. Gefällt es Ihnen, so im Rampenlicht zu stehen?
Kerber: In jedem Fall. Deshalb macht man ja auch diesen Sport, um den Leuten zu zeigen, wie gut man ist.
dapd: Sie machen sich also keinen Kopf, ob Sie jetzt die Nummer eins im Fed-Cup-Team sind oder nicht?
Kerber: Nein, ich genieße das eher. Den größten Druck mache ich mir sowieso selber.