Halle (Westf.). . Der THW Kiel marschiert in der Handball-Bundesliga unbeirrt weiter. Das 31:25 (13:12) beim 45 Minuten lang sehr starken TBV Lemgo bedeutet schon den 27. Sieg im 27. Saisonspiel. Macht 54:0 Punkte.

Eigentlich gibt es ja keinen besseren Torwart als Thierry Omeyer. Doch. Am Mittwochabend im Gerry-Weber-Stadion war einer sogar 31 Minuten lang klar besser, ehe er von Daniel Narcisse, so sagen die Handballer, abgeschossen wurde: Carsten Lichtlein, der deutsche Nationalkeeper und Schlussmann des TBV Lemgo. Aber nicht nur wegen des Ausscheidens ihres Schlussmannes mussten sich die Ostwestfalen dem souveränen Spitzenreiter der Handball-Bundesliga beugen. Der THW Kiel setzte sich nach hartem Kampf mit 31:25 (13:12) durch und feierte im 27. Saisonspiel seinen 27. Sieg – macht 54:0 Punkte.

TBV Lemgo: Lichtlein (1.-31.), Dresrüsse (31.-60.) - Johansson (2), Smoler, Preiß (5), Bechtloff (4), Patrail (3), Theuerkauf (1/1), Kehrmann (3), Strobel, Hermann (2), Liniger (3/2), Dietrich (2).

THW Kiel: Omeyer (1.-36. und bei einem 7m), Palicka (36.-60.) - Andersson (6), Lundström (1), Dragicevic (n. e.), Sprenger, Ahlm (4), Kubes (n. e.), Reichmann, Zeitz (2), Narcisse (4), Ilic (11/6), Klein, Jicha (3).

Als die meisten Zuschauer noch gar da waren oder sich an den Büdchen vor dem Gerry-Weber-Stadion vergnügten, rollte auf dem Parkett schon der Ball. Kurz vor 18 Uhr war es, also noch mehr als eine Stunde Zeit bis zum Anwurf, als ein Lemgoer Grüppchen um Ersatztorwart Nils Dresrüsse das tat, was alle Handballer gerne tun – ob sie nun in der Kreis- oder Bundesliga Tore werfen: Fußball spielen.

Und bevor dann das Aufwärmen begann, war erst einmal Zeit zum Quatschen. Zunächst testete Lemgos Christoph Theuerkauf, der in der nächsten Saison für den Bundesliga-Rivalen HBW Balingen-Willstetten spielen wird, die Frisur seines (ehemaligen) Nationalmannschaftskollegen Christian Sprenger aus Kiel, während sich ein paar Meter weiter an der Mittellinie zwei 2007-Weltmeister austauschten: Kiels Dominik Klein und Lemgos Florian Kehrmann.

Martin Strobel lenkt geschickt das Spiel seiner Mannschaft

Nach der Bundesliga-Pause wegen der Länderspiele, die für gleich fünf Kieler mit der Qualifikation für die Olympischen Spiele in London endete, war dieser 27. Spieltag auch so eine Art Standortbestimmung für das Finale der Toyota-Handball-Bundesliga. Nichts ist bekanntlich unmöglich. Doch! In dieser Saison scheint es unmöglich, den THW Kiel zu schlagen. „Die Vorzeichen sind egal: Wir wollen einfach jedes Spiel gewinnen“, hatte dessen schwedischer Kapitän Marcus Ahlm gesagt. Und das Ergebnis war auch für den TBV Lemgo, den Deutschen Meister von 1997 und 2003, am Ende eine deutliche, zu hoch ausgefallene Niederlage. Die Ostwestfalen hatten sich nämlich bis zur 25. Minute in ausgezeichneter und in den 20 Minuten danach auch noch in starker Verfassung präsentiert.

Hinten zeigte Carsten Lichtlein, der 31-jährige Torwart, hinter seiner sehr beweglichen 5:1-Deckung eine Klasse-Parade nach der anderen, und vorne lenkte Martin Strobel geschickt das Spiel seiner Mannschaft. So führte der TBV nach 19 Minuten mit 8:4. Alfred Gislason, Kiels Trainer, hatte genug gesehen und nahm eine Auszeit. Ein Ergebnis dieser war, dass es der THW kurz mal mit einer 6:0- statt einer 5:1-Deckung versuchte. Aber eben nur kurz.

Carsten Lichtlein muss nach seiner 13. Parade passen: Kopftreffer

Und als der TBV Lemgo nach jenen 25 Minuten mit 12:9 vorne lag, war auch dessen Torwart Carsten Lichtlein noch sehr zufrieden. Dann jedoch kassierte er vier Treffer in Serie und war mächtig sauer auf seine Vorderleute. Seinem Linksaußen Jens Bechtloff hielt er vor 8300 Zuschauern sogar einen Extra-Vortrag. Doch schon kurz nach der Pause ging es dem deutschen Nationalkeeper noch schlechter, nachdem er von Daniel Narcisse aus kurzer Distanz abgeschossen worden war und aussah, sagte TBV-Trainer Dirk Beuchler, „wie Rocky Balboa“ – es war übrigens seine 13. Parade an diesem Abend.

„Wenn ein Mann, der sich so in einen Rausch gespielt hatte, so früh ausfällt, ist das traurig“, sagte Dirk Beuchler. Absicht wollte er dem THW-Franzosen nicht unterstellen. Und Alfred Gislason, der Kieler Coach, sagte, dass Daniel Narcisse in der Luft auch geschoben worden sei. Nichtsdestotrotz regte Dirk Beuchler eine kritische Beurteilung an. „Vielleicht sollte der DHB mal über Regeländerungen nachdenken“, sagte er. Wohl wissend, dass Daniel Narcisse nach diesem Wurf bei einem Spiel irgendwo zwischen Kreis- und Oberliga mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Rote Karte gesehen hätte.

Thierry Omeyer wird nach 36 Minuten ausgewechselt

Nur drei Minuten später stand Daniel Narcisse erneut im Blickpunkt. Diesmal brach er zusammen. Das Schiedsrichter-Gespann Robert Schulze/Tobias Tönnies hatte ein grobes Foulspiel Jens Bechtloffs gesehen und zeigte dem viermaligen Lemgoer Torschützen die Rote Karte. Fortan wurde der Franzose im THW-Trikot bei jedem Ballkontakt ausgepfiffen – und TBV-Trainer Dirk Beuchler hatte auch nach dem Spiel Schwierigkeiten, die Disqualifikation nachzuvollziehen. „Eine fragwürdige Entscheidung“, sagte er. Eine schmerzhafte Entscheidung, weil Jens Bechtloff bis dahin klasse gespielt hatte und auf der vorgezogenen Position in der 5:1-Deckung großartig aufgetreten war. „Er hat den Kieler Rückraum-Spielern das Leben richtig schwer gemacht“, sagte sein Coach. Konsequenz der Roten Karte war auch, dass Rückraum-Mitte-Mann Martin Strobel keine Zeit mehr zum Erholen auf der Außen-Position in der Abwehr hatte, da er nun vorgezogen decken musste.

Nach 36 Minuten nahm Alfred Gislason dann Thierry Omeyer, den an diesem Tag nicht besten Torwart der Welt, raus. So lautete das Duell zwischen den Pfosten nicht mehr Carsten Lichtlein gegen Thierry Omeyer, sondern Nils Dresrüsse gegen Andreas Palicka. Es wäre jetzt sicherlich falsch zu schreiben, dass der THW-Keeper dieses für sich entschieden habe. Doch der TBV war nicht in der Lage, seinen erneut herausgekämpften und teilweise auch klasse herausgespielten neuen Vorsprung (17:15, 20:18) zu halten.

Dirk Beuchler: „Der THW bestraft jeden Fehler sofort“

Erstmals ging der Favorit in der 44. Minute dank Filip Jicha wieder in Führung (21:20), um die Weichen nach dem 22:22 auch mit Hilfe einiger unkontrollierter Abschlüsse der Gastgeber dann endgültig auf den 27. Saisonsieg zu stellen. „Da hat man gesehen, dass der THW jeden Fehler sofort bestraft“, sagte TBV-Coach Dirk Beuchler.

Sechs Treffer in Serie durch Filip Jicha, Marcus Ahlm, dreimal Momir Ilic und Henrik Lundström beendeten den Lemgoer Traum von einer Sensation – 28:22 für den THW Kiel, ehe Linkshänder Rolf Hermann die neunminütige Torflaute des TBV beendete. Am Ende hatte der kommende Deutsche Meister und Nachfolger des HSV Hamburg, dem jetzt nur noch fünf Punkte zum 17. nationalen Titelgewinn fehlen, mit 31:25 die Nase vorne.

Volker Zerbe: „Das hat Spaß gemacht“

Die Erleichterung bei den Kielern, das zeigte auch deren spontaner Jubel nach dem Schlusspfiff, war groß. „Es ist uns gelungen, verlustpunktfrei zu bleiben“, sagte Trainer Alfred Gislason. „Das war aber sehr schwierig. Ich bin stolz auf die Mannschaft, wie sie gekämpft hat, und froh, dass wir als Sieger hier wegfahren.“ Spielen kann der THW sicherlich besser. „Aber man muss auch anerkennen“, sagte der 52-Jährige, „dass der Gegner sehr gut gespielt hat.“ Allen voran Carsten Lichtlein – bis zur 31. Minute. Und auch Dirk Beuchler war, wenn überhaupt, nur wegen des Ergebnisses unzufrieden und „sehr stolz auf meine Mannschaft“.

Nach dem zweiten Saison-Heimspiel im Gerry-Weber-Stadion – das erste hatten die Lemgoer am 23. November vor 7750 Zuschauern mit 28:36 gegen den HSV Hamburg verloren – zog TBV-Geschäftsführer Volker Zerbe ein sehr positives Fazit. „Tolle Stimmung, ein fantastisches Spiel und eine toll kämpfende TBV-Truppe“, sagte der ehemalige Nationalspieler am Mittwochabend. „Das hat Spaß gemacht.“