Ruhpolding. Der Hype ist ungebrochen. Schon morgens um acht Uhr stehen die hartgesottenen Fans an der Strecke, um sich sechs Stunden lang auf das Spektakel in der Loipe und am Schießstand einzustimmen. Ruhpolding 2012, das ist eine WM der Rekorde.
Der Morgen danach. Es ist Ruhetag bei der WM in Ruhpolding. Der 6500-Einwohner-Ort verschnauft nach einem geballten Wochenende mit vier Entscheidungen auf der Strecke und endlosen und mindestens ebenso anstrengenden Après-Biathlon-Partys. Im Kurpark von Ruhpolding, der für die Weltmeisterschaft in „Champions-Park“ umgetauft wurde, liegen noch Flaschen, Gläser und Krüge. Spuren einer langen Nacht in einem Dorf, das niemals schläft. Jedenfalls nicht während der WM, für die auf dem kleinen Dienstweg mit profitsicherer alpiner Bauernschläue die Sperrstunde außer Kraft gesetzt wurde.
Eine Mutter kommt mit ihrem sechsjährigen Jungen aus der Bäckerei Schuhbeck. „Fischers Fritz fischt frische Fische“, rattert der Knirps fehlerfrei herunter. „Jo mei, so is recht“, lobt die Mutter. In der Bäckerei sitzt der Mann, der den kleinen Burschen zum Reimen inspiriert hat. Fritz Fischer, Staffel-Olympiasieger von 1992 aus Ruhpolding, sitzt bei einer Brez’n und einem Haferl Kaffee und diskutiert angeregt mit Biathlon-Fans aus dem Rheinland, aus Norddeutschland und dem Ruhrgebiet.
Alles dreht sich um Biathlon
In „Ruapading“, wie das Mekka der populärsten deutschen Wintersportart in bestem Oberbayerisch klingt, dreht sich alles um Biathlon. In der Bäckerei Schuhbeck gibt es ein Fritz-Fischer-Brot und Biathlon-Weckerl. Und damit sich auch die schwedischen Fans wie zu Hause fühlen und ihre Semmel als Smörrebröd-Ersatz bei Schuhbeck kaufen, werden sie mit dem Plakatspruch „Guds Fred“ („Grüß Gott“) an der Eingangstür begrüßt. An jeder Ecke des Ortes hängen die Fahnen aller teilnehmenden Nationen und natürlich Konterfeis von Magdalena Neuner: Die Lena-Mania ist auf dem Siedepunkt.
Biathlon-Legende Uschi Disl gibt Autogrammstunden bei Sport Plenk, Kathrin Hitzer beim Konkurrenten Dollinger. Ein lebensgroßes Poster von Hitzer, die wegen ihrer Schwangerschaft bei der WM zuschauen muss, hängt im Schaufenster von Trachten Speckbacher: in blau-weißem Dirndl mit grüner Schürze.
Auf dem Areal einer früheren Tankstelle steht der mobile Schießstand für Jedermann. Fünf Schüsse für drei Euro. Geschossen wird aus einer Entfernung von zehn Metern mit einem Repetiergewehr. Frauen schießen dreimal liegend und zweimal stehend. Die Buben, wie man in „Ruapading“ sagt, machen es umgekehrt.
Bis zu 250.000 Zuschauer vor Ort
Ruhpolding 2012, das ist eine WM der Rekorde. Bis zu 250.000 Zuschauer werden die Rennen vor Ort verfolgen, 45 Nationen gehen an den Start. Der Hype ist ungebrochen. Schon morgens um acht Uhr stehen die hartgesottenen Fans an der Strecke, um sich sechs Stunden lang auf das Spektakel in der Loipe und am Schießstand einzustimmen. 8000 Liter Glühwein, 1,5 Tonnen Leberkäse täglich: Für die Verpflegung der Wartenden ist gesorgt.
Aus den Lautsprechern dröhnen neben der „Ave-Magdalena“-Hymne die klassischen Party-Muntermacher wie „Schatzi, schenk mir ein Foto“ oder „Die Hände zum Himmel“. Das Publikum ist gemischt: Von den Biathlonfreunden Günderich am Niederrhein bis zum Ostfriesen-Treff oder dem 700 Mitglieder starken Magdalena-Neuner-Fanklub. Frauen sind in der Mehrheit, graue Haare häufiger zu sehen als blonde oder schwarze. Auf dem Parkplatz steht neben dem VW Golf aus dem Ruhrgebiet der Rolls-Royce mit weißrussischem Kennzeichen.
Und wenn die Fan-Karawane nach den Rennen von der Chiemgau-Arena ins Dorf zieht, geht es im Kurpark, pardon, im „Champions-Park“, weiter. DJ Soundbär und die Senftuben heizen dann der Party-Gemeinde ein. Ende offen. Für erste Hilfe ist immer gesorgt. Im Schaufenster der Adler-Apotheke liegen neben einem Arsenal von leeren Flaschen abholbereit die Pillen für den Kater danach. Pflichtgemäß steht die Warnung daneben: „Dies ist keine Aufforderung zum hemmungslosen Alkoholgenuss.“ Und in einer Mischung von Humor und Realismus: „Give your liver a chance“ – „Gib deiner Leber eine Chance“.
Wer am Donnerstag kurz nach acht wieder fit ist, geht zur Bäckerei Schuhbeck. Fischers Fritze fischt dann wieder. Es gibt keine frischen Fische, aber knackige Semmeln. Und lustige Geschichten.