Leverkusen. . Nach dem 0:2 in Leverkusen gibt sich Bayern München im Rennen um die Meisterschaft öffentlich geschlagen. Einerseits ist das Masche. Andererseits zeigt es, wie tief die Krise der Bayern geht.

Zum schweren Los prominenter Zeitgenossen gehört es, sich keinen Moment lang mehr unbeobachtet fühlen zu dürfen. Uli Hoeneß hat es zu beachtlicher Prominenz gebracht, und so verwundert es nicht, dass die Kameras den Präsidenten des FC Bayern München genau in dem Augenblick einfingen, als er auf der Tribüne von Bayer Leverkusen für ein paar Momente schräg nach oben, Richtung Himmel, blickte. Man weiß nicht, was Uli Hoeneß in diesem Augenblick gedacht hat, denn nach der 0:2-Niederlage verließ er schweren Schrittes und vollkommen wortlos das Stadion. Zu vermuten ist: Hoeneß hat in diesem Augenblick stille Zwiesprache mit einer höheren Macht gehalten. Denn glücklich sah er dabei ganz und gar nicht aus.

Dazu fehlt ihm im Moment auch ein wichtiger Anlass. Der FC Bayern, besser sein FC Bayern, noch besser sein sportliches Lebenswerk ist mal wieder in Gefahr. Das ist natürlich relativ, Gefahr fängt in München bei Platz zwei an. Aber wenn es denn am Ende Borussia Dortmund wird, dann dürfte der FC Bayern in der Rückschau feststellen, dass man die Meisterschaft 2012 an diesem Samstag in Leverkusen verloren hat. Zumindest, und das ist bemerkenswert genug, haben die wenigen Münchener, die sich äußern wollten, sie verloren gegeben.

Sag zum Titel leise servus: Man sollte sich einerseits davor hüten, das für bare Münze zu nehmen. Noch sind zehn Spiele zu spielen, Bayern tritt in Dortmund an und bei sieben Punkten Rückstand auf den BVB ist auf dem Papier alles drin. Zumal jeder Bayer nach einem Sieg in Dortmund das Rennen wieder für offen erklären würde.

Andererseits sind die Einlassungen von Sportdirektor Christian Nerlinger oder Arjen Robben, man brauche nicht mehr von der Meisterschaft zu reden, höchst bemerkenswert. Sie zeigen, was von den Mia-san-mia- und Stärker-als-die-Stier-Bayern geblieben ist: ein im Kreis hetzender Bulle, der dieses rote Tuch Dortmund nicht zu packen kriegt.

Denn die Probleme der Bayern gehen ja weit über dieses 0:2 in Leverkusen hinaus. Sie gehen hinaus über vergebene Torchancen, wie die von Mario Gomez kurz vor der Pause, als Manuel Friedrich den Ball für die bis dahin unterlegenen Leverkusener von der Linie kratzte. Sie gehen hinaus über interne Streitigkeiten wie zwischen Thomas Müller und Jerome Boateng, die sich ankeiften wie Heidi Kabel als Fischweib den alten Henry Vahl im Ohnsorg Theater. Und sie gehen tiefer als wiederkehrende Patzer von Manuel Neuer, der diesmal unter Gonzales Castros Flanke durchsegelte, weshalb Stefan Kießling Leverkusen 1:0 in Führung bringen konnte – nach 79 Minuten übrigens längst verdient. Dass Karim Bellarabi bei einem Konter noch das 2:0 schoss, war da schon bedeutungslos.

Die Probleme der Bayern, und das hat Uli Hoeneß’ Schritte so beschwert, reichen weiter zurück. In der Hinrunde spielte die Mannschaft unter ihrem menschlich hoch geschätzten Trainer Jupp Heynckes oft wie unter dessen menschlich wenig geschätztem Vorgänger Louis van Gaal. Die unter dem Holländer eingebimsten Automatismen haben sich seitdem abgeschliffen, ohne dass man erkennen könnte, welcher Spielstil an ihre Stelle treten soll.

Erschwerend wirkt ein für 40 Millionen Euro erneuerter Kader, der angesichts dieses Aufwands geradezu grotesk limitiert erscheint: Dortmund fängt in der Rückrunde den Ausfall wichtiger Spieler ab, bei den Bayern fehlen die Alternativen, um Konkurrenzdruck zu entfalten. Seit zwei Jahren, das am Rande, ist nicht mehr Uli Hoeneß, sondern Christian Nerlinger für die Planung verantwortlich.

Dass man Marco Reus holen wollte, passt in dieses Bild: Schon jetzt stehen sich im rechten Mittelfeld Arjen Robben und Thomas Müller im Weg. Reus geht lieber zum BVB, das muss Hoeneß schmerzen: Die Selbstverständlichkeit, mit der sein Verein bekam, wen er wollte, ist so verflogen wie die Selbstverständlichkeit, mit der Bayern früher in kritischen Situationen Spiele zu drehen pflegte.

Das alles hat vielleicht auch mit der Erkenntnis zu tun, dass sich in Dortmund gerade ein zweites Kraftfeld entfaltet. Bis Bayern eine Antwort findet, wird es ungemütlich bleiben. „Heute“, maulte Arjen Robben, „hat es keinen Spaß gemacht.“ Allzu schnell wird sich daran nichts ändern.