Paris. Frankreichs neuer Sportdirektor Willy Sagnol, einst erfolgreicher Verteidiger beim FC Bayern, spricht vor dem Länderspiel am Mittwoch in Bremen über die Folgen der französischen WM-Pleite von 2010 und die Entwicklung des deutschen Fußballs.
Es ist nur ein Test-Länderspiel und doch mehr als eine unbedeutende Begegnung in Freundschaft: Wenn Deutschland und Frankreich am Mittwoch in Bremen aufeinandertreffen (20.45 Uhr/live im ZDF und im DerWesten-Ticker), geht es auch um eine Standortbestimmung wenige Monate vor der Europameisterschaft. Einer, der sich im Fußball beider Länder bestens auskennt, ist Frankreichs Sportdirektor Willy Sagnol. Jahrelang spielte er als Außenverteidiger beim FC Bayern München eine wichtige Rolle.
Herr Sagnol, Sie prophezeien dem deutschen Fußball eine großartige Zukunft. Was macht Sie so sicher?
Willy Sagnol: Dass die Nationalelf und die Bundesliga heute an der Spitze stehen, ist alles, bloß kein Wunder. Die Deutschen haben in den letzten zehn, zwölf Jahren hart an ihrer neuen Fußball-Philosophie gearbeitet. Große und athletische Spieler, die neunzig Minuten nur rennen, sind out. Heute zählt das Spiel mit dem Ball, die Fußballkunst.
Titel und Pokale holen bis jetzt aber die Anderen. Wird „La Mannschaft“ Europameister?
Sagnol: Ja. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die deutsche Nationalelf Europa- und Weltmeister wird und ein Bundesligist die Champions League gewinnt. Die Zukunft des Fußballs ist das schnelle, technische Spiel – nicht der harte Kampf. Die deutschen Spieler sind in technisch-taktischer Hinsicht sehr gut ausgebildet. Und sie besitzen den Willen zum Sieg.
Kann Frankreich heute von den deutschen Talentschmieden lernen?
Sagnol: Förderstützpunkte, Leistungszentren für den Nachwuchs – das gibt’s doch in Frankreich schon längst. Spanien und Deutschland haben sich von unserem Erfolgsmodell der 90er-Jahre inspirieren lassen. Leider hat Frankreich nach dem WM-Titel 1998 die Entwicklung verschlafen. Jetzt müssen wir Gas geben, um wieder an die Spitze zurückzukehren. Ich bin überzeugt, dass wir es schaffen. Sonst hätte ich den Job als Sportdirektor nicht übernommen.
Sie verlangen von den Nachwuchsspielern mehr Disziplin. Haben neun Jahre Bundesliga Sie so sehr geprägt?
Sagnol: Oh ja. Als junger Spieler neigte ich auch dazu, locker, lässig und bequem zu sein. Das hat sich in Deutschland grundlegend geändert. Unseren jungen Nationalspielern fehlen zwei entscheidende Charakterzüge: der Wille zum Sieg und die Disziplin.
Die Meuterei der WM 2010 in Südafrika hat das glanzvolle Bild der „Equipe Tricolore“ zerstört. Hat Trainer Laurent Blanc die Nationalelf wieder aufgerichtet?
Sagnol: Die Katastrophe von 2010 hat dem französischen Fußball geschadet, wir mussten praktisch bei Null anfangen. Momentan stecken wir noch in der Aufbauphase. Immerhin haben wir das erste Ziel erreicht: die EM-Teilnahme.
Nach der verkorksten WM erschütterte der so genannte Rassismusskandal Frankreichs Fußball. Es hieß, der Verband plane, die Zahl der Spieler mit Migrationshintergrund in den Ausbildungszentren zu reduzieren.
Sagnol: Moment mal, wir waren sehr weit weg von Rassismus. Unser Grundproblem ist: Wir bilden Nachwuchsspieler aus, die sich am Ende nicht das französische Trikot überstreifen, sondern das von Senegal oder Algerien. Dass wir darüber nicht glücklich sind, ist doch verständlich. Aber dann wurde ein Skandal daraus gemacht. Nach der WM war es eben chic, den Verband zu kritisieren. Wäre dasselbe Thema nach der WM 1998 aufgeworfen worden, hätte sich niemand aufgeregt.
Was ist vom 1998er-Mythos „Black-blanc-beur“, vom Multikulti weißer, schwarzer und maghrebinischer Spieler geblieben?
Sagnol: Das Motto war schon 2002 kaputt. Ganz ehrlich: Hat vor der WM 1998 jemand darüber geredet? Nur der Erfolg hat diesen Mythos geschaffen. Ja, er hat Frankreich geholfen, ein bisschen glücklich zu sein. Für einen Moment gerieten die sozialen Probleme in Vergessenheit, gelöst wurden sie nicht.
Deutsche Stars heißen jetzt Mesut und Sami. Muss der Fußball die Kinder von Einwanderern integrieren?
Sagnol: Diesen Denkfehler begehen wir oft. Fußball ist nur Sport, verantwortlich ist in erster Linie die Politik.
Nur wenige französische Profis spielen in der Bundesliga. Umgekehrt gilt dasselbe. Ist der Rhein wirklich eine Grenze?
Sagnol: Das klingt zu negativ. Nach dem Bosman-Urteil haben sich spanische, italienische und englische Vereine auf ausländische Spieler gestürzt. Jetzt haben sie in Spanien Finanzprobleme, in Italien sind Klubs pleite und in England kriselt’s auch schon. Nur zwei sind gesund in Europa: Deutschland und Frankreich. Warum? Weil sie nicht auf Glamour und Stars gesetzt haben, sondern auf solide Strukturen. Die Bundesliga wird in Zukunft die Nummer eins des europäischen Fußballs sein. Mit ihrem Geld holt sie schon jetzt die Stars – siehe Ribéry, Robben und Raúl.
Sie waren Publikumsliebling beim FC Bayern und leben noch immer mit Ihrer Familie in München. Was bindet Sie an Deutschland?
Sagnol: Sehr viel. In punkto Lebensqualität zählt München zu den besten Städten Europas. Die Stadt ist sicher, die Deutschen sind kinderfreundlich. Ich habe viele Freunde in München.
Deutscher Meister wird . . .?
Sagnol: . . . mein Herz sagt Bayern, aber es wird sehr schwer. Bayern hat es mit Dortmund zu tun: Erfolgsphilosophie kontra Spielphilosophie. Die Borussen werden mindestens die nächsten drei Jahre auf höchstem Niveau spielen. Auch Schalke kann zu einem gefährlichen Konkurrenten aufsteigen. Das ist schön für die Fans: Spannung ist garantiert.