Essen. . Hoffenheim und Wolfsburg sichern sich 13-Jährige aus Berlin und Hamburg. Barcelona und Manchester haben noch deutlich weniger Skrupel. Kritiker sprechen von Kinderhandel.

Wenn die Jugendspieler des FC Barcelona in der Kabine saßen, war der 13-jährige Junge aus Argentinien der Einzige, dessen Füße nicht bis zum Boden reichten. In der Heimat hatten sie ihn deshalb schwer unterschätzt. „Er wird es nie als Profi schaffen“, urteilte der Beobachter eines großen Klubs und ätzte: „Er ist nur gut für Tischfußball.“ Die auch in Südamerika bestens vernetzten Scouts des FC Barcelona aber waren von dem zarten Hochgeschwindigkeitsdribbler begeistert.

Messi kam auch in jungen Jahren zum FC Barcelona

Die Euphorie der Katalanen hält bis heute an. Am Montag ist Lionel Messi, mittlerweile 24, zum dritten Mal nacheinander zum Weltfußballer des Jahres gekürt worden. Zwangsläufig zweifelt Barca nicht an seinem System. Deshalb wurde im Herbst auch Takefusa Kubo aufgenommen. Ein Zehnjähriger. Aus Japan.

Ein solcher Transfer ist nach den Statuten des Fußball-Weltverbandes nicht zulässig. Es sei denn, die Eltern verlegen ihren Wohnsitz aus Gründen, die mit dem Fußball nichts zu tun haben. Takefusa Kubos Mutter sei von Kawasaki nach Barcelona gekommen, um Arbeit zu suchen, heißt es von Klubseite. Fall erledigt.

Hoffenheim und Wolfsburg Zielscheibe heftiger Kritik

Das Abwerben von Talenten, die sich noch mit dem Schwamm rasieren können, sorgt in diesen Tagen auch in Deutschland für Aufregung. Denn der 13-jährige Nico Franke wechselt von Tennis Borussia Berlin zu 1899 Hoffenheim und der gleichaltrige Alexander Laukart vom FC St. Pauli zum VfL Wolfsburg. St. Paulis Jugendchef Joachim Philipkowski reagiert empört: „Dieser Weg ist nicht richtig, der Junge wird aus seinem familiären Umfeld gerissen.“

Unter Kritikern macht das Wort vom Kinderhandel die Runde, begleitet von zynischen Begriffen wie Anlageobjekt und Humankapital. Die angeprangten Klubs halten dagegen. „Nico hatte auch Angebote anderer großer Vereine“, verteidigt sich Hoffenheims Manager Ernst Tanner, und Wolfsburgs Manager Felix Magath wettert: „Ich weiß nicht, was die Heuchelei soll.“ Die Entscheidung, Leistungszentren einzurichten, sei von allen getroffen worden, „und das ist die Konsequenz“.

Eine notwendige Konsequenz? Uwe Scherr hält republikweite Kindertransfers für unverantwortlich. Der frühere Bundesligaprofi leitet bei Schalke 04 den Altersbereich U 9 bis U 15, sein Klub hat sich selbst auferlegt, nach jüngeren Talenten nur in der Nähe Ausschau zu halten: „Unser Fahrdienst holt sie ab und bringt sie nach Hause, im Umkreis von bis zu 100 Kilometern. Auch als Vater von vier Kindern bin ich der Meinung, dass die Jungen leistungsfähiger sind, wenn sie in ihrem gewohnten Umfeld bleiben.“

BVB rekrutiert Nachwuchsspieler aus Westfalen

Die Mutter des Berliners Nico Franke aber ist alleinerziehend für fünf Kinder verantwortlich, sie nennt das Hoffenheimer Internat „fantastisch“. Zu verdienen gibt es noch nicht viel, die Ausbildungsverträge sehen 250 Euro Gehalt pro Monat vor. Aber hatte diese Frau eine andere Wahl, als auf die große Zukunfts-Chance ihres Jungen zu setzen?

Ein Argument, das Uwe Scherr nicht zulässt. „Wir bilden die Spieler nicht nur als Fußballer aus, wir versuchen auch ihre Persönlichkeit und ihren Charakter zu entwickeln“, erklärt er, „aber der Fußballverein kann nicht die Erziehung übernehmen.“

Borussia Dortmunds Trainer Jürgen Klopp spricht von Populismus und sagt, er selbst hätte gerne bestens betreut im vereinseigenen Jugendhaus gewohnt. Dort ziehen aber nur ältere Jugendliche ein. „Ab der U 16 schauen wir uns national um, dann ist es vertretbar“, erklärt Lars Ricken, früher Nationalspieler und heute Nachwuchskoordinator des BVB, und darin sind sich die Rivalen Schwarz-Gelb und Blau-Weiß einig. „Unsere Einzugsgebiete sind klar festgelegt“, sagt Ricken. „Bis zur U 11 sichten wir nur in Dortmund, bis zur U 13 im näheren Umfeld, bis zur U 15 in ganz Westfalen.“

DFL hofft auf Einigkeit

Von einem 13-Jährigen aus Berlin, versichert Ricken, würde der BVB die Finger lassen: „In diesem Alter kann doch niemand seriös prophezeien, ob ein Talent später in der Bundesliga spielen wird.“ Es kommt vor, dass Eltern anbieten, mit umzuziehen, doch auch das lehnt Ricken ab: „Wir glauben, dass so ein Junge dann einem immensen Druck ausgesetzt wird, und dass das nicht gesund sein kann.“

Ricken und Scherr stellen fest, dass das Ringen um Talente zunehmend aggressiver wird. Deshalb halten die beiden Experten auch das von der Deutschen Fußball-Liga angestrebte freiwillige Abwerbeverbot für unter 16-Jährige für nicht durchsetzbar. „Es würden sich nicht alle Klubs daran halten“, glaubt Scherr, und Ricken verweist auf ausländische Konkurrenz: „Vor allem die Engländer würden sich doch kaputtlachen und sagen: Super, dann nehmen wir sie.“

Manchester United hat sich vor zwei Monaten die Dienste von Charlie Jackson gesichert, im Einvernehmen mit den Eltern, die übrigens Fans von Manchester City sind. Charlie ist fünf Jährchen jung.