Essen. . Warum er auch mit 33 Jahren noch immer von den Skisprung-Schanzen zu Tal fliegt, was ihm heute schwerer fällt als früher, wie er sein Gewicht hält und was er über das Ende seiner Sportler-Karriere denkt, das verrät Martin Schmitt in einem ausführlichen Interview.

Vor fast 14 Jahren sprang Martin Schmitt mit dem deutschen Skisprung-Team bei den Winterspielen 1998 in Nagano zu Olympia-Silber. Während seine Teamkollegen Hansjörg Jäkle, Dieter Thoma und Sven Hannawald längst aufgehört haben, segelt Martin Schmitt immer noch von der Schanze ins Tal. Der 33-jährige Olympiasieger von 2002 und viermalige Weltmeister spricht vor dem Weltcup-Auftakt (26. November in Kuusamo/Finnland) über das immer noch berauschende Gefühl, von der Schanze zu springen, über Gewichtsprobleme und seine Pläne für die Zeit nach der Karriere.

Herr Schmitt, können Sie sich noch an Ihren ersten Weltcup-Sprung erinnern?

Schmitt: Ja, ganz gut. Das war 1996 in Harrachov. Ich bin in der Qualifikation gescheitert. Zwei Wochen später habe ich bei der Vierschanzentournee in Innsbruck mit Platz 25 meine ersten Weltcup-Punkte geholt.

Hätten Sie damals gedacht, dass Sie 15 Jahre später immer noch springen?

Schmitt: Ehrlich gesagt, nein. Dieter Thoma war damals der alte Hase im Team. Mit 27. Damals hätte ich nicht geglaubt, dass ich mal länger als Dieter springen würde. Aber ich wusste noch nicht, welches Potenzial ich habe und wo die Reise mal hingeht.

Und wie soll der letzte Sprung aussehen?

Schmitt: Möglichst weit. Wann und wo, das weiß ich noch nicht. Das sehe ich ganz entspannt.

Was fällt Ihnen mit 33 Jahren schwerer, was ist leichter?

Schmitt: Einerseits kann man auf viel mehr Erfahrung zurückgreifen. Andererseits weiß man mit 33 auch ganz genau, was alles schief gehen kann. Mit 20 ist man noch unbelasteter.

Sie müssen minutiös auf Ihr Gewicht achten. Das war früher bestimmt einfacher.

Schmitt: Man muss sich diszipliniert ernähren, um nicht zu schwer und so konkurrenzfähig zu sein. Auch das fällt mit 20 einfacher.

Süßigkeiten sind tabu? Aber das dürfen Sie wegen Ihres Werbevertrags mit Milka wohl nicht sagen.

Schmitt: Es gibt keine Verbote. Ich esse gern mal ein Stück Schokolade, es darf nur nicht gleich eine ganze Tafel sein. Aber ich freue mich schon darauf, irgendwann mal nicht mehr auf alles achten zu müssen.

Kaum ein anderer Sportler wird seit Jahren öfter gefragt, wann er denn seine Karriere beenden wird. Nervt das?

Schmitt: Es muss ja eine Riesenerleichterung für einige sein. Im Ernst, das ist eine berechtigte Frage. Die meisten Skispringer in meinem Alter haben schon aufgehört, auch wenn der Trend dahin geht, länger im Sport zu bleiben. Man ist mit 30 noch genauso leistungsfähig wie mit 20. Das Alter ist nicht der limitierende Faktor.

Ich muss die Frage auch stellen. Wann hören Sie auf?

Schmitt: Allzu lange werde ich nicht mehr springen. Mit 38 habe ich bestimmt aufgehört. Im Moment bin ich noch voll motiviert. Es macht mir Spaß, ich bin immer noch ehrgeizig.

Was ist der Spaß am Skispringen?

Schmitt: Das Fliegen an sich macht mir immer noch riesige Freude. Wenn dir ein gelungener Sprung von der Schanze geglückt ist, ist das einfach ein tolles Gefühl. Ich weiß, dass mir dieses Gefühl, durch die Luft zu schweben, fehlen wird.

Sie haben zwar mit der deutschen Mannschaft noch 2010 eine olympische Silbermedaille gewonnen, aber im Einzel waren Sie in jungen Jahren viel erfolgreicher als heute. Wie können Sie das einem Laien erklären?

Schmitt: Es ist ja nicht so, dass plötzlich nichts mehr gelingt. Vor zweieinhalb Jahren habe ich noch eine WM-Einzelmedaille gewonnen und bin Sechster im Gesamtweltcup geworden. Es ist ein schmaler Grat, ob ein Sprung hundertprozentig funktioniert. Man muss sich immer am persönlichen Limit bewegen.

Sind Sie noch ein Siegspringer?

Schmitt: Ob ich noch einmal ein Springen gewinnen werde, das weiß ich nicht. Das ist auch nicht mein ultimatives Ziel. Ich weiß, was auf der Schanze gefordert ist und will dafür eine Lösung finden. Man misst mich immer an meiner Vergangenheit.

Vor zehn Jahren gab es einen Skisprung-Boom. An den Schanzen kreischten die Teenager, einige hielten Schilder mit der Aufschrift hoch: „Martin, ich will ein Kind von Dir.“ Wie denken Sie an diese Zeit zurück?

Schmitt: Ich bin froh, dass ich ein Teil davon war. Die Begeisterung war phänomenal.

Hören Sie vielleicht auch deswegen nicht auf, weil Sie in Ihrem nächsten Berufsleben längst nicht so viel verdienen können wie heute im Sport?

Schmitt: Auch im Skispringen wird nach Leistung bezahlt. Geld ist nicht meine Motivation, dass ich noch springe. Aber ich habe natürlich nach meinen erfolgreichen Jahren nicht mehr den Druck, dass ich unbedingt aufhören muss, um schnell einen Beruf zu finden und Geld zu verdienen. Ich kann die Suche nach einem geeigneten Job für die Zeit nach der Karriere in Ruhe angehen. Vielleicht studiere ich noch mal. Irgendwas mit Wirtschaft.