Hamburg. . In unserem Interview spricht der Jung-Nationalspieler von Bayer Leverkusen über seine Rolle in der Nationalelf, seine Entwicklung, die Champions League und den bevorstehenden Klassiker Deutschland – Holland.
Die Stimmung ist entspannt. Während Nationalspieler Andre Schürrle, 21, geduldig auf die Interview-Fragen antwortet, nähern sich die „Störenfriede“ von hinten. Erst äfft ihn Thomas Müller nach, dann kommt Marco Reus, beugt sich über den Tisch und feixt: „Ist doch alles nur blabla.“ Doch der Leverkusener Schürrle gibt sich ungerührt – und erzählt von seinem rasanten Aufstieg, seinen Fehlern und einem prägenden Public-Viewing-Erlebnis.
Herr Schürrle, Bundestrainer Joachim Löw hat mit seiner Systemumstellung in Kiew alle erstaunt. Offenbar auch die eigene Mannschaft.
Andre Schürrle: Ja, das hat man bei der Mannschaftsbesprechung auch in den Gesichtern der Spieler gesehen. Wir waren schon alle überrascht. Aber ich denke, gerade in der zweiten Halbzeit haben wir klar dominiert. Ich würde schon sagen, dass es ein gelungener Test war.
Sie selbst haben vor knapp einem Jahr, am 17. November 2010 beim 0:0 in Schweden, ihr Debüt gegeben. Nun stehen elf Länderspiele und fünf Tore auf Ihrem Konto, Sie gelten als fester Bestandteil des DFB-Teams. Es ging alles sehr, sehr schnell.
Das stimmt. Es war wirklich ein sehr, sehr schönes Jahr.
Wie sehen Sie Ihre Rolle im DFB-Team? Auf dem Weg zum Stammspieler?
Das Wort Stammspieler hat der Bundestrainer ja eigentlich abgeschafft. Natürlich gibt es Spieler, die gesetzt sind. Aber ich fühle mich als vollwertiges Mitglied.
Sie werden, Gesundheit vorausgesetzt, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit bei der EM 2012 im Kader stehen. Bei der letzten WM waren Sie noch Fan. . .
(lacht) Ja, da habe ich die deutschen Spiele in Mainz beim Public Viewing erlebt. Zusammen mit Lewis Holtby.
Wie verarbeitet man einen derartigen Aufschwung?
Natürlich denkt man darüber nach, wie es noch vor eineinhalb Jahren war. Es macht mich sehr stolz, wie alles gelaufen ist, denn ich weiß: Normal ist das alles nicht.
Sie waren in Mainz Mitglied der Boy-Group, spielten mit Lewis Holtby nach Torerfolgen Luftgitarre und verzauberten Fußball-Deutschland. Den Torjubel gibt’s in Leverkusen nicht mehr. . .
Es war wirklich eine schöne, echt lustige Zeit. Wir haben das gerne gemacht. Ich möchte es nicht missen, auch nie sagen, dass es falsch war. Aber natürlich will man sich weiterentwickeln, reifen. Dazu gehört auch, dass man das dann Vergangenheit sein lässt. Aber ich bin immer noch sehr jung, und dazu gehört einfach, dass ich ein wenig verrückt bin, auch etwas lustig sein will und sein muss. Das finde ich schon noch wichtig.
Aber alles zu seiner Zeit? Es gab ja in Mainz durchaus Momente, in denen Sie den Fußball nicht so ernst genommen haben, wie es hätte sein müssen.
Das sehe ich nicht ganz so. Es war aber sicher eine Phase, in der alles hochgejubelt wurde und wir Spieler uns zu sehr auf die Öffentlichkeit konzentriert haben, geguckt haben, wer was über uns schreibt, welche Bilder von uns im Internet stehen. Das war ein Fehler, aber daraus habe ich gelernt.
Sie machen auch neue Erfahrungen, mit Leverkusen spielen Sie jetzt gegen Klubs wie Chelsea oder Valencia.
Das ist schon noch mal eine andere Liga. Für mich ist die Champions League das Geilste, was es gibt.
Aber auch der Druck nimmt zu. Als Sie ihr erstes Bundesliga-Tor für Leverkusen schossen, war Ihnen die tiefe Freude anzumerken.
Es war schon eine riesengroße Erleichterung, obwohl sechs Spiele ohne Tor für einen damals noch 20-Jährigen eigentlich auch nicht der Weltuntergang sind.
Sie sind jetzt aber nicht mehr einfach der unbeschwerte Luftgitarrist, sondern ein Nationalspieler, für den Leverkusen rund zehn Millionen Euro bezahlt hat. Dabei sind Sie gerade 21 geworden, stehen noch inmitten ihrer Entwicklung. Ein Zwiespalt, oder?
Ja klar, die Erwartungen sind hoch, aber über irgendwelche Millionenbeträge habe ich mir noch nie Gedanken gemacht. Von außen betrachtet bin ich halt ein Nationalspieler, der viel gekostet hat – und der muss die Tore eben sofort machen. Natürlich macht man sich da auch selber mehr Druck.
Am Dienstag geht es im Prestigeduell gegen die Niederlande. Aber Sie selbst sind Jahrgang 1990. Da waren die größten Schlachten schon geschlagen.
Klar habe ich das alles selbst nicht live miterlebt. Aber man bekommt es ja erzählt, was das für heiße Duelle waren. Und ich habe nachts im Fernsehen ja auch die Wiederholungen der Klassiker gesehen. Da merkt man: Das ist schon was Besonderes.
Bis zur Nominierung des EM-Kaders sind es nur noch zwei Partien. Ist das Team gerüstet für die EM 2012?
Auf jeden Fall haben wir eine Riesen-Qualität im Kader. Wir haben 23 Mann, die eigentlich alle von Anfang an spielen können, ohne dass wir groß an Qualität einbüßen. Wir müssen so in das Turnier gehen, dass wir das gewinnen wollen. Das ist unser klares Ziel. Und mit der Mannschaft, die wir haben, können wir dieses Ziel auch erreichen.