Essen. Die Münchner Dominanz ist fast beängstigend. Es fällt deshalb schwer, sich einen anderen deutschen Meister 2012 als den FC Bayern vorzustellen. Ein Kommentar.
1108 Minuten. Auf den ersten Blick ist es nur eine schnöde Zahl. Aber was könnte man in dieser Zeitspanne, immerhin knapp 19 Stunden, nicht alles machen? Fast ein ganzer Tag Lebenszeit. Und erst, wenn man diese Zahl derart ins Verhältnis setzt, wird bewusst, was für eine großartige Leistung dahintersteckt. Seit nun 1108 Minuten ist Manuel Neuer mit dem FC Bayern München in Pflichtspielen ohne Gegentor. Man muss sich das so vorstellen: Die Bayern gehen auf den Rasen, kurz nach Sonnenaufgang, und dann betreten die Gegner nacheinander den Platz, egal ob sie aus Wolfsburg, Zürich (2x), Hamburg, Kaiserslautern, Freiburg, Villareal, Gelsenkirchen, Leverkusen, Manchester, Hoffenhein oder Berlin kommen. Es wird Mittag, es ist Zeit für nen Tee, langsam bricht der Abend herein. Zwölf Mannschaften, insgesamt mehr als 150 Spieler, versuchen, ein einziges, winziges Törchen zu erzielen. Und dann geht die Sonne hinterm Horizont unter, die Sichel des Mondes erscheint, und Manuel Neuer und der FC Bayern gehen gelassen vom Feld. Ohne ein einziges Gegentor. Es ist fast beängstigend.
Und so kreisen die Münchner, nachdem sie den Aufsteiger Hertha BSC beim 4:0 fachgerecht in alle Einzelteile zerlegt haben, in ihrem eigenen Orbit. Fünf Punkte Vorsprung nach neun Spieltagen, gut einem Viertel der Saison, sind in der Fußball-Bundesliga beileibe keine Lebensversicherung, keine Vorentscheidung, aber es fällt - weniger numerisch als in Anbetracht der Dominanz - zunehmend schwer, sich einen anderen deutschen Meister 2012 als den FC Bayern München vorzustellen.
Für den BVB könnte es aufwärts gehen
Dabei gibt es durchaus Teams, die sich zurückmelden, ihre Ambitionen mit Leben erfüllen - wie Borussia Dortmund. Der BVB hat am Freitagabend nicht allein ein schweres Auswärtsspiel bei einem direkten Konkurrenten gewonnen - das 2:0 in Bremen hatte auch alle Zutaten, um in der späteren Rückschau als Knackspiel bewertet zu werden. Die Dortmunder haben eine Partie auf Augenhöhe gewonnen, in Unterzahl, sie haben in ein, zwei Situationen Glück gehabt, aber sie haben es sich erarbeitet. Und die Arbeit, die Leidenschaft ist belohnt worden. Für den BVB könnte es nun wieder aufwärts gehen. Die Frage aber bleibt, wie schwer der Mühlstein des verpatzten Starts in die Champions League den Dortmundern auch in der Liga auf Sicht um den Hals hängt.
Wie flüchtig Erfolg sein kann, musste am Samstagabend der FC Schalke und Huub Stevens erfahren, die sich in der Erfolgsspur wähnten. Die überraschende 1:2-Heimniederlage gegen Kaiserslautern beendete aber vorerst jedwede Blütenträume, der Sprung auf Platz zwei wurde leichtfertig verpasst. Hinter den Bayern, hatte Huub Stevens gesagt, "ist vieles möglich". Da wird niemand widersprechen. Und die Ergebnisse des Wochenendes nähren die These, dass der Kampf um die Vize-Meisterschaft und die Qualifikation zur Champions League - die den Klubs die begehrte Gelddruckmaschine für ein Jahr in die Büroräume stellt - das unterhaltsamste Teil dieser Spielzeit werden könnte. Es wäre, trotz Platz zwei, vermesssen, Borussia Mönchengladbach zu den natürlichen und logischen Anwärtern zu rechnen. Erstaunlich aber ist allemal, wie die Gladbacher nun dem steigenden Erwartungsdruck trotzen. Eine Konsequenz: Ein 2:2 gegen Leverkusen, in der vergangenen Horror-Saison noch als hübscher Teilerfolg gewertet, wird von den Gladbachern nun leicht frustriert zur Kenntnis genommen.
Gladbach könnte Überraschungsteam werden
Zu gut sind die Borussen in Form, zu klar ist ihr Spiel, zu gut waren auch ihre Chancen, und zu ärgerlich fiel das Gegentor in Überzahl. Doch Borussen-Trainer Lucien Favre darf sich damit trösten, dass die Ordnung, die Struktur, das Spiel seines Teams funktioniert - für einen analytischen Kopf wie den Schweizer ist das mehr wert als ein herbei geschummelter Dreier ohne Substanz. Und warum also sollte Gladbach in dieser Saison nicht das gelingen, was Hannover oder Mainz in der vergangenen Spielzeit schafften? Ein Überraschungsteam der Liga werden.
Im Souterrain tummeln sich derweil schon jetzt vorrangig die Mannschaften, die dort ohnehin erwartet worden waren. Nürnberg, Köln, Freiburg, Kaiserslautern - und vor allem Augsburg. Immerhin: Der Aufsteiger ist mit seinem 1:0-Sieg in Mainz nun auch endlich in der Bundesliga angekommen. Der erste Sieg der Vereinsgeschichte in der Eliteklasse lässt zumindest die Hoffnung aufkeimen, dass die Augsburger nicht gänzlich ohne Gegenwehr das Licht im Keller ausmachen wollen. Doch von unten, von Platz 18, klopft wohl schon bald der Hamburger SV an. Die Hanseaten werden schließlich ab Montag von Thorsten Fink trainiert. Der 43-Jährige soll den HSV vorm Abstieg retten. Das Grundrezept ist angesichts von 20 Gegentoren in acht Partien denkbar einfach: "Die Null muss stehen", würde Stevens sagen. Fink ist das zuzutrauen. Er weiß zumindest, wie es ist, 1011 Minuten ohne Gegentor zu sehn. Fink hat es selbst erlebt. Im Jahr 2002, als Spieler des, ja klar, FC Bayern.