Köln/Tallinn. Allein die Chance auf die erste Qualifikation für eine EM-Endrunde hat in Estland für eine unbeschreibliche Euphorie gesorgt. Jetzt sehen die Fans mit Spannung der Auslosung für die Play-offs entgegen. Das Team hat eine historische Chance.
„Super, unglaublich, historisch!“ In Riesenlettern beschrieb die große estnische Tageszeitung Eesti Paeveleht die Gefühle einer ganzen Nation. Allein die Chance auf die Qualifikation für eine EM trieb am Dienstagabend Zigtausende Fußball-Fans auf die Straßen. Denn die Kicker aus dem Ostsee-Staat beendeten die Gruppenspiele überraschend auf Platz zwei und haben nun die Möglichkeit, über die Play-offs das Ticket zur Endrunde in Polen und der Ukraine zu lösen. Gespannt werden die 1,3 Millionen Einwohner des nördlichsten Staates des Baltikums - flächenmäßig kleiner als Niedersachsen - der Auslosung am Donnerstag (13.00 Uhr MESZ) in Krakau verfolgen. Und schon jetzt steht fest: Die Le Coq Arena in der Hauptstadt Tallinn, Heimstadion der Nationalmannschaft, wird im Heimspiel der Play-offs (11./12. November und 15. November 2011) innerhalb weniger Stunden ausverkauft sein.
Zweiter hinter Italien
Schon am Dienstag war die Spannung kaum zu überbieten. Denn Estland, das seine Qualifikationsrunde bereits am vergangenen Freitag mit einem 2:1 in Nordirland abgeschlossen hatte, konnte Platz zwei in der Gruppe hinter den bereits als WM-Teilnehmer feststehenden Italienern nur behaupten, wenn Verfolger Serbien in seinem letzten Spiel in Slowenien strauchelte. Wie gehofft, so geschehen: Die Serben verloren 0:1. Auf einer Riesenleinwand in der Le Coq Arena verfolgten Tausende Fans die Begegnung der Konkurrenz in Maribor. Nach dem Abpfiff brachen alle Dämme. „Die Play-offs zu erreichen, ist etwas ganz Besonderes für eine so kleine Nation“, erklärte Mihkel Uiboleht, Sprecher des estnischen Fußball-Verbandes. „Jeder, den ich gesehen habe, hat mit den Freudentränen gekämpft, denn es war ein historischer Moment.“
Alles oder Nichts
Die vagen Hoffnungen, in den Kampf um Platz zwei in der Gruppe C eingreifen zu können, erhielten im Juni mit der 0:2-Niederlage auf den Färoern einen herben Dämpfer. Doch anschließend gewann Estland seine drei verbleibenden Spiele und schloss die Quali-Runde mit fünf Siegen und insgesamt 16 Punkten ab. „Wir gehen ohne Druck in die Play-offs. Wir fürchten keinen Gegner, haben nichts zu verlieren und werden alles oder nichts spielen“, sagt Uiboleht und spricht den stolzen Fans aus dem Herzen. Mögliche Gegner sind aufgrund der Setzliste Portugal, Kroatien, Irland oder Tschechien. Der größte Erfolg seit der Rückkehr 1991 zur Unabhängigkeit nach 50 Jahren Zugehörigkeit zur Sowjetunion hat Estlands Fußballer in der Weltrangliste innerhalb von drei Jahren von Platz 137 auf 58 (Stand September) katapultiert. Bisher fristeten die Kicker ein eher bescheidenes Dasein in einem Land, in dem fast ausschließlich der Ski-Langlauf die Vorzeigesportler lieferte. Das soll sich in den Play-offs zur EURO 2012 endgültig ändern.