Berlin.. Der Sportpsychologe Ralf Brand lobt das offene Vorgehen des Torwarts Markus Miller, der an “mentaler Erschöpfung“ leidet. Dieser Fall zeigt, so Brand, dass die Vereine nach innen wachsamer geworden sind.

Sportler mit psychischen Schwierigkeiten trauen sich nach Einschätzung des Sportpsychologen Ralf Brand von der Universität Potsdam immer häufiger an die Öffentlichkeit. Nach dem Selbstmord von Torhüter Robert Enke im Herbst 2009 sei vor allem die Zahl der Sportler deutlich gestiegen, die sich frühzeitig und auch präventiv mit Sportpsychologen in Verbindung setzen, sagte Brand in einem dapd-Interview. Der Fall des Hannoveraner Torhüters Markus Miller zeige zudem, dass auch die Vereine nach innen wachsamer geworden seien. Miller hatte am Montag bekannt gegeben, dass er sich wegen mentaler Erschöpfung in stationäre Behandlung begebe.

Wenn ein Torhüter aus Hannover 96 über mentale Probleme klagt, erinnert das an den Suizid von Robert Enke im November 2009. Doch Markus Miller geht offensiv mit seinen psychischen Problemen um. Der Sportpsychologe Prof. Dr. Ralf Brand spricht im Interview mit der dapd-Redakteur Martin Einsiedler über die Auslöser mentaler Erkrankungen und über mögliche Vorbeugung.

Torhüter Markus Miller von Hannover 96 lässt sich wegen mentaler Erschöpfung stationär behandeln. Was genau ist eine mentale Erschöpfung, und worin besteht der Unterschied zum Burnout und zur Depression?

Ralf Brand: Eine mentale Erschöpfung ist von den drei genannten Beeinträchtigungen die mit der mildesten Symptomatik. Man fühlt sich psychisch ausgelaugt und müde. Bei einem Burnout-Syndrom dagegen ist der Alltag bereits massiv eingeschränkt. Depressionen können manchmal aus Burnout entstehen. Sie bedeuten für den Erkrankten eine dramatische Verschlimmerung von Symptomen. Die Depression und oft auch Burnout sind dringend behandlungsbedürftig.

Ist es ein Zufall, dass erneut ein Torhüter mentale Probleme hat? Oder liegt es daran, dass der Druck auf einen Torhüter größer ist als auf einen Feldspieler?

Brand: Es gibt keinerlei Forschungsergebnisse, die diese These stützen würden. Ich halte es für arge Spekulation, dass Torhüter stärker gefährdet sind als Feldspieler.

Bei dem Medienecho, das Meldungen im Falle von Deisler, Hannawald, Enke oder jetzt Miller nach sich ziehen, gewinnt man den Eindruck, die Berufsgruppe der Leistungssportler ist viel stärker gefährdet als andere...

Brand: Das ist definitiv nicht der Fall. Aber die Diskussion ist insofern interessant, als die Dunkelziffer psychischer Probleme im Leistungssport wahrscheinlich hoch ist. In der Öffentlichkeit ist gerade bei Profifußballern immer noch das Bild des harten Kerls vorherrschend. Wenigstens ist nach den Fällen Sebastian Deisler und Robert Enke das Thema überhaupt in der Öffentlichkeit angekommen.

Als Ursache für die psychischen Erkrankungen fällt immer wieder das Stichwort Druck. Gibt es noch andere Auslöser?

Brand: Druck ist schon eine wesentliche Ursache. Dabei ist aber nicht nur der Druck von außen, also von den Medien oder dem Umfeld entscheidend, sondern die Art, wie das Individuum mit selbst gemachtem Druck zurechtkommt, zum Beispiel dem, der aus einer unrealistischen eigenen Erwartungshaltung entstehen kann. Eine wichtige Ressource, die der Einzelne solchem Druck entgegenbringen kann, ist ein stabiles Selbstbewusstsein.

Das doch bei Leistungssportlern recht ausgeprägt sein sollte...

Brand: Das ist nicht immer so. Das Selbstbewusstsein, welches die Sportler über die Medien transportieren, ist oft auch ein antrainiertes, stereotypes Rollenverhalten, das nicht deckungsgleich mit der tatsächlichen psychischen Verfassung sein muss. Und zum anderen bedeutet die Tatsache, dass es einer in die Bundesliga geschafft hat, nicht automatisch, dass er per se auch über großes Selbstbewusstsein verfügt. Zum Beispiel befinden sich Profisportler eben unter stetigem, riesengroßem Konkurrenzdruck. So etwas kann sehr belastend sein - und eben auch mal bis hin zu einer psychischen Erkrankung führen.

Welche Vorkehrungen kann der Sportler treffen?

Brand: Eine wichtige Präventivmaßnahme ist ein ausreichendes Maß an Abwechslung und Entspannung. Ein Leistungssportler muss sich selbst mentale Pausen geben. Zudem sollte er, wie angesprochen, realistische und keine übergroßen Erwartungshaltungen an sich selbst formulieren. So etwas laugt auf die Dauer aus.

Was wiederum mit den Zielen des Klubs nicht unbedingt vereinbar ist?

Brand: Es ist richtig, dass es hier ein Spannungsfeld gibt, da die Klubs natürlich höchste Ansprüche an ihr kickendes Personal stellen. Und es gibt ja auch den Spielertyp, der damit von sich aus gut umgehen kann. Ein anderer schafft das vielleicht nicht so gut und sucht sich eben Hilfe.

Nach dem Tod von Robert Enke wurden vom Deutschen Fußball-Bund und von Teilen der Öffentlichkeit als Konsequenz gefordert, dass die Spieler nicht mehr so dem Druck der Medien beziehungsweise der Vereine ausgesetzt werden sollten. Was hat sich denn knapp zwei Jahre später wirklich verändert?

Brand: An der Art, wie in den Medien berichtet wird, nichts. Dagegen wird vonseiten der Sportpsychologie seither verstärkt auf Angebote hingewiesen, und es wurden nach dem Tod von Robert Enke auch noch einmal neue geschaffen. Meinem Eindruck nach ist aber vor allem die Anzahl der Sportler, die sich frühzeitig und auch präventiv mit Sportpsychologen in Verbindung setzen, deutlich gestiegen. Und am Beispiel von Markus Miller sieht man auch, dass die Vereine nach innen wachsamer geworden sind. Schließlich habe ich den Eindruck, dass sich die Sportler zunehmend trauen, sich mit eventuellen Schwierigkeiten auch an die Öffentlichkeit zu wenden.