Grenoble. Der australische Radprofi Cadel Evans steht unmittelbar vor seinem ersten Triumph bei der Tour de France, Tony Martin darf sich über seinen ersten Etappensieg freuen.
Cadel Evans steht unmittelbar vor seinem ersten Tour-Triumph, Tony Martin feierte in Grenoble den größten Erfolg seiner Karriere: Der Australier und der Cottbuser strahlten als große Sieger in Grenoble um die Wette. Nach einem Herzschlagfinale um den Gesamterfolg der 98. Tour de France kann Evans nur noch ein Sturz vom Sieg in Paris abhalten. Dem deutschen Hoffnungsträger Martin gelang nach einer Tour voller Enttäuschungen mit seinem Erfolg im Einzelzeitfahren der Befreiungsschlag.
Evans (BMC Racing), der als Dritter des Klassements in das entscheidende Teilstück gegangen war, nahm auf den 42,5 Kilometern rund um Grenoble seinen direkten Konkurrenten Andy und Frank Schleck 2:31 bzw. 2:34 Minuten ab. Der 34-Jährige eroberte damit vor dem Schlussabschnitt in die französische Hauptstadt souverän das Gelbe Trikot. Da es in Paris traditionell keinen Angriff auf das "maillot jaune" gibt, steht dem ersten australischen Gesamtsieg in der Tour-Geschichte nichts mehr im Wege.
"Könnte die ganze Welt umarmen"
Martin war längst im Ziel, als sich die großen Drei ihren Showdown lieferten. "Ich bin überglücklich, am Ende habe ich nur noch gebannt auf den Fernseher geschaut", sagte Martin, nachdem auch Evans seine Zeit nicht mehr unterboten hatte: "Im Moment könnte ich die ganze Welt umarmen." Nach Andre Greipel, der das zehnte Teilstück gewonnen hatte, sorgte er für den zweiten deutschen Etappensieg bei der diesjährigen Tour und den 61. insgesamt.
Die Schleck-Brüder, Kapitäne des Teams Leopard Trek, können sich dagegen ihren großen Traum erneut nicht erfüllen. Zum dritten Mal nach 2009 und 2010 wird Andy die Große Schleife als Zweiter beenden, Frank steht am Sonntag zum ersten Mal auf dem Podium. Evans wurde beim Contre de la Montre nur von Martin bezwungen und war sieben Sekunden langsamer als der Deutsche. Auf den dritten Tagesrang kam Titelverteidiger Alberto Contador, der 1:06 Minuten Rückstand auf Martin hatte.
Wie eine Furie vom Start
Evans hatte sich so detailliert wie möglich auf den finalen Showdown eingestellt. Sein schweizer Teamkollege Steve Morabito informierte den Australier nach seinem Rennen noch einmal ganz präzise über die entscheidenden Passagen. Der 34-Jährige ging dann wie eine Furie von der Startrampe.
Aus dem Blick von Andy Schleck sprach dagegen eine gewisse Unsicherheit, auch wenn der Luxemburger mit kämpferischer Miene das Rennen aufnahm. Bereits bei der ersten Zwischenzeit lag der 26-Jährige 36 Sekunden hinter Evans zurück, sein Bruder Frank hatte da 34 Sekunden eingebüßt. Beim zweiten Messpunkt lagen die Schlecks dann schon aussichtslos im Hintertreffen.
Als Tony Martin in 55:33 Minuten die Ziellinie überquerte, wusste er seine Leistung gleich einzuschätzen. Mit strahlendem Lächeln und geballter Faust passierte der Fahrer vom Team HTC-Highroad die letzten Meter zum größten Erfolg seiner Laufbahn. Im Ziel brach Martin vor Erschöpfung regelrecht zusammen und lag mit geschlossenen Augen erst einmal eine gefühlte Ewigkeit am Boden. "Der Etappensieg war immer ein großer Traum von mir", sagte Martin.
"Hatte ein super Feeling"
Der gebürtige Cottbuser dominierte von Beginn an. Mit kraftvollem Tritt, weit aufgerissenem Mund und entschlossenem Gesichtsausdruck stürmte Martin über die Strecke und ließ nie einen Zweifel an seinem Vorhaben aufkommen. Nach seinem Einbruch in den Pyrenäen hatte er das Zeitfahren in Grenoble zum großen Ziel ausgerufen. Schon beim Tour-Testlauf Criterium du Dauphine hatte der Deutsche im Juni auf identischem Kurs triumphiert, damals war er noch sechs Sekunden schneller gefahren. "Ich bin wirklich gut reingekommen und hatte ein super Feeling. Es hat mir unheimlich viel Selbstvertrauen gegeben, dass ich vor einen Monat hier gewonnen habe", sagte Martin.
Martins vermeintlicher Hauptkonkurrent Fabian Cancellara (Schweiz/Leopard Trek) erreichte diesmal nicht seine Bestform und wurde nur Achter. Der Zeitfahr-Olympiasieger und amtierende Weltmeister verlor auf Martin 1:42 Minuten. Allerdings hatte Cancellara den Nachteil, noch auf teils nassen Straßen unterwegs zu sein.
Am Sonntag findet die "Grand Boucle" traditionell auf den Champs Elysees in Paris ihr Ende. Seit 1975 hat sich die Tour die Liebe zum Prachtboulevard zu Eigen gemacht. Auf der abschließenden "Tour d"Honneur" genehmigen sich der designierte Sieger und sein Team ein Schlückchen Schampus. Vor allem die Sprinter werden nochmals ihre Kräfte mobilisieren, um einen prestigeträchtigen Erfolg davonzutragen. (sid)