Shanghai. .

Geschichten mit Happy End sind auch im Sport die schönsten. Und so schämte sich Isabelle Härle bei den Weltmeisterschaften in Shanghai ihrer Tränen nicht, als sie sich nach dem Mannschaftswettbewerb im Freiwasserschwimmen von ihren Teamkollegen Jan Wolfgarten und Thomas Lurz in deren starke Arme schließen ließ.

Der gern strapazierte Vergleich, dass Bronze Gold wert sei, ist in der Geschichte der Isabelle Härle eher eine Untertreibung. Für die 23-Jährige ist der dritte WM-Platz nicht die Erfüllung eines Traums, dafür war ein Start am Jinshan City Beach noch vor kurzem völlig abwegig. Eine Turnerin träumt schließlich auch nicht von einer Medaille in der Rhythmischen Sportgymnastik.

Der Bronze-Gewinn der Isabelle Härle ist ein Zufallsprodukt, keine Erfolgsgeschichte nach ausgeklügelter Planung und gewiefter Vorbereitung.

Vor nicht einmal zwei Monaten war die Sportstudentin schon einmal den Tränen nah. Bei den Deutschen Meisterschaften in Berlin musste sie von ihrem Freund, dem Essener Brustschwimmer und WM-Teilnehmer Hendrik Feldwehr, in den Arm genommen und getröstet werden.

Drei Titel ohne Wert

Mit drei Einzel-Titeln über 400, 800 und 1500 Meter hatte Härle eindrucksvoll bewiesen, dass sie im 50-Meter-Becken die mit Abstand beste deutsche Langstreckenschwimmerin ist. Aber dreimal Gold war nur Blech wert, denn für die Qualifikation zur WM in China galten auch harte Normzeiten – und diese hatte die gebürtige Bremerin, die in Heidelberg studiert, verpasst.

Frust statt Freude. Doch dann erfuhr die Geschichte der Isabelle Härle mit einem einzigen Anruf die entscheidende Wendung. Thomas Lurz, mit neun Titeln erfolgreichster Freiwasserschwimmer der WM-Historie, schlug ihr einen Ausflug in unbekannte Gewässer vor. Kein Strandurlaub, sondern ein Start über eine Meile in der Londoner Themse. „Thomas hat mich stundenlang bequatscht“, erzählt sie, „ich bin froh, dass er so hartnäckig geblieben ist.“ Der unverbindliche Test hatte einen sensationellen Ausgang: Isabelle Härle siegte in London. Und schon schaltete sich der zweite Lurz ein. Stefan, älterer Bruder von Thomas und Teamchef des Freiwasser-Teams, machte ihr Hoffnung, mit einem kleinen Umweg über Rostock doch noch nach Shanghai zu kommen. Härle siegte erneut. Diesmal bei der DM über 5 km – und löste so das WM-Ticket.

Die Einsteigerin war gleich voll durchgestartet. Ohne die Lurz-Brüder hätte sie diesen Parforce-Ritt nicht hinbekommen, gibt sie zu. Sie habe ihnen ein Loch in den Bauch gefragt, sagt sie, sie habe doch keine Ahnung vom Freiwasserschwimmen gehabt. Klares Wasser mit Idealtemperatur gibt es im Becken, aber das Meer vor der 20-Millionen-Metropole Shanghai ist trübe und fast so heiß wie in der Badewanne. „Sie hat Welpenschutz“, sagt Thomas Lurz.

Aber auch die taktischen Finessen des Team-Wettbewerbs verstand Härle. Wenn zwei Männer und eine Frau gemeinsam ins Ziel kommen müssen, geht es darum, es der natürlich physisch Schwächeren so leicht wie möglich zu machen. Wolfgarten und Lurz schwammen vor ihr, so dass sie in deren Sog Kräfte sparen konnte. Es habe super geklappt, lobte Stefan Lurz: „Sie hat gekämpft bis zum Umfallen.“

Das nächste große Ziel für Isabelle Härle ist Olympia 2012 in London. Als Freiwasserschwimmerin hat sie keine Chance, weil die Tickets schon im WM-Einzel am Dienstag vergeben wurden. Aber sie will es jetzt auch im Becken wissen. Es wäre ein zweites, noch schöneres Happy End.