Col du Galibier. .

Andy Schleck hat zum großen Schlag ausgeholt, Thomas Voeckler wieder alle verblüfft und Alberto Contador wohl alle Chancen eingebüßt. Mit einer Attacke, die in die Geschichtsbücher eingehen wird, hat der jüngere Schleck-Bruder die Königsetappe der 98. Tour de France gewonnen, das Gelbe Trikot aber um wenige Sekunden verpasst. Der spanische Titelverteidiger Contador erlebte dagegen eine der schwärzesten Stunden seiner Karriere. Frankreichs Liebling Voeckler darf weiter vom Podium in Paris träumen.

"Ein Traum ist wahr geworden. Das ist der schönste Etappensieg, den ich erreichen konnte. Viele haben an meiner Form gezweifelt, ich aber nicht. Ich bin sehr, sehr stolz", sagte Andy Schleck nach seinem Triumph. "Alles lief perfekt", freute sich sein Bruder Frank, der Zweiter wurde.

Auf dem 200,5 Kilometer langen 18. Teilstück auf den legendären Col du Galibier, der bei seinem 100-jährigen Tour-Jubiläum erstmals Etappenziel war, fuhr der Luxemburger Schleck (Leopard Trek) nach einem epischen Angriff zu seinem dritten Tour-Tagessieg. 2:07 Minuten dahinter folgte Frank, acht Sekunden dahinter erreichte der Australier Cadel Evans (BMC Racing) Platz drei. Fünfter wurde sensationell Voeckler mit 2:21 Minuten Rückstand. Damit verteidigte der 32-Jährige sein Gelbes Trikot mit 15 Sekunden Vorsprung auf Andy Schleck, der neuer Zweiter ist.

Alberto Contador kann dagegen seinen vierten Tour-Sieg wohl abschreiben. Seine Kräfte waren etwa zwei Kilometer vor dem Ziel aufgebraucht. Der Kapitän von Saxo Bank musste seine Herausforderer fahren lassen und hatte im Ziel 3:50 Minuten auf Andy Schleck verloren. 4:29 Minuten müsste Contador nun auf Schleck aufholen.

Hinter dem jüngeren Schleck-Bruder herrschte im Finale zunächst Uneinigkeit unter den anderen Sieganwärtern. Evans verfügte über ausreichend Energie, wollte zunächst aber nicht allein die Verantwortung für die Verfolgung übernehmen. Diese taktische Malaise ließ die Lücke zunächst immer weiter ansteigen. Der Titelverteidiger hatte kein Ass mehr im Ärmel. Im Gegensatz zu den Vortagen, als Contador jede kleine Chance zur Attacke wahrnahm, blieb er diesmal unverständlich defensiv. So musste Evans schließlich alles riskieren und holte im Alleingang Sekunde um Sekunde auf.

Bei Voeckler (Europcar) schien der gelbe Traum auf der langen Asphaltzunge des Alpenriesen zu enden. Der französische Liebling hatte kurz vor dem Galibier ziemlich erschöpft gewirkt, doch irgendwo fand er doch noch Reserven.

Schon am Col d"Izoard zogen Schlecks Teamkollegen das Tempo früh an, auch Jens Voigt war daran wieder maßgeblich beteiligt. 60,4 km vor dem Ziel stürmte Andy dann der Konkurrenz davon und startete seinen beeindruckenden Angriff. Contador schickte daraufhin seinen Helfer Daniel Navarro an den Kopf der Favoritengruppe, doch der Abstand wuchs stetig an.

Über zwei Minuten hatte Schleck bereits am Gipfel des Izoards auf die Konkurrenz herausgefahren. In der Abfahrt wartete Edelhelfer Maxime Monfort (Belgien) auf seinen Kapitän und schleppte ihn bis zum Fuße des Galibier. Vor dem Beginn der letzten von drei Steigungen der höchsten Kategorie betrug der Abstand des Luxemburgers mehr als drei Minuten und Schleck hatte virtuell das "maillot jaune" auf den Schultern. Etwa 17 Kilometer vor der Ankunft hatte Monfort seine Schuldigkeit getan.

Die Spanier hatten derweil eine Allianz gebildet. Contador und Landsmann Samuel Sanchez (Euskaltel) besprachen offenbar die Strategie für den Schlussanstieg. Als Contador kurz darauf sein Rad wechselte, wurde er auch von Sanchez" Teamfahrzeug wieder herangebracht. Vorn hatte Schleck fremde Hilfe vom Belgier Dries Devenyns (Quick Step). Die verbliebenen Adjutanten von Contador, Sanchez und auch Evans führten dann die Schleck-Verfolger an den Fuß des Galibier. Sanchez hatte aber auch nichts mehr zu bieten und wurde deutlich vor dem Gipfel abgehängt.

Schon an den steilen Rampen des Col Agnel, mit 2744 Metern Höhe das Dach des Tour 2011, wurde das Feld stark reduziert. Der einstige Podiumskandidat Robert Gesink (Niederlande/Rabobank) lancierte eine Attacke, die aber nicht lange Bestand hatte. Alberto Contador war da am Ende des Pelotons zu sehen. Zu dem Zeitpunkt war noch offen, ob dies ein Zeichen von Schwäche oder Teil eines Pokerspiels sein würde. Im Ziel herrschte Klarheit.

Die letzte Bergetappe der Tour ist am Freitag mit 109,5 Kilometern zwar mit Abstand die kürzeste, dennoch hat sie es in sich. Dem 34 Kilometer langen Weg auf den legendären Col du Galibier, folgt rund 14 Kilometer vor dem Ziel der Schlussanstieg nach Alpe d"Huez. Der Galibier wird dabei anlässlich seiner Erstbezwingung vor 100 Jahren zum zweiten Mal bei der Tour 2011 überquert. Das Feld der Titelaspiranten wird sich sicher weiter reduzieren. (sid)