Essen. Vitali Klitschko möchte als Politiker das Leben in der Ukraine verändern. Erstes Ziel: Bürgermeister von Kiew.
Vitali Klitschko hat es am Morgen nicht ins Fitness-Studio des Hotels geschafft. „Wenn ich unterwegs bin, gehe ich normalerweise jeden Morgen um sieben Uhr ins Gym“, sagt er. „Aber dieses Mal ist es am Abend davor zu spät geworden.“ Der Box-Weltmeister im Schwergewicht war in der Essener Lichtburg Ehrengast bei der Uraufführung des Dokumentarfilms „Klitschko“, der das Leben der Brüder Vitali und Wladimir erzählt.
Fühlen Sie sich nicht sehr alt, wenn Sie einen Film über Ihr eigenes Leben auf der Leinwand sehen?
Vitali Klitschko: Nein, ich habe meiner Frau gesagt, dass ich mich wie Brad Pitt fühle, wenn ich den Namen „Klitschko“ in Großbuchstaben auf der Leinwand sehe. Sie hat geantwortet, dass Sie dann Angelina Jolie sei. Aber ganz ehrlich? Ich habe dieses Mal gar nicht mehr so richtig hingeguckt.
Nicht?
Klitschko: Ich habe den Film schon 20 Mal gesehen, und daher finde ich ihn nicht mehr ganz so spannend. Also habe ich mehr nach rechts und nach links geschaut und auf die Zuschauer geachtet. Keiner ist weggegangen, sehr gut.
In dem Film erzählen Sie von Ihrem Vater, der Jahre nach dem Tschernobyl-Unfall an Krebs erkrankt ist.
Klitschko: Ich war 14 Jahre alt, als die Katastrophe in der Ukraine geschah, und habe als Junge gar nicht richtig kapiert, wie gefährlich das alles ist. Für Wladimir und mich war das alles nur ein Spiel. Als zum Beispiel die Flugzeuge abgewaschen wurden, hat Wladimir in dem Wasser auf dem Rollfeld Schiffe aus Papier schwimmen lassen.
Das Leben der Jungs aus der Ukraine als Abenteuerspielplatz?
Klitschko: Wir fanden es so spannend, weil wir nichts wussten. Man riecht die Strahlung nicht, man hört sie nicht, und es lagen auch keine Toten auf der Straße. Die Bahnhöfe waren überfüllt, die Züge voll, niemand kam mehr weg. Aber es dauerte, bis wir Jungs endlich begriffen hatten.
Halten Sie unter diesem Eindruck die deutsche Entscheidung für richtig, die Kernkraftwerke abzuschalten?
Klitschko: Ich bin wegen der Gefahr absolut gegen Atomkraftwerke, aber ich weiß nicht, ob man sie sofort abschalten kann. Ich habe gelesen, dass dann von fünf Lampen nur noch eine brennt.
Was soll die Regierung demnach also tun?
Klitschko: Die Entscheidung der deutschen Regierung kann ein Beispiel für die anderen Länder Europas sein. Es nutzt doch nichts, in Deutschland abzuschalten, wenn in Frankreich das nächste Atomkraftwerk nur 40 Kilometer hinter der Grenze steht. Kein Land kann eine hundertprozentige Sicherheitsgarantie geben, wie wir jetzt leider in Japan gesehen haben. Tschernobyl hat doch auch nicht nur die Ukraine getroffen, sondern besonders Weißrussland und viele andere Länder in Europa. Daher muss eine europäische Entscheidung her.
Ein Ausstieg von ganz Europa aus der Kernkraft?
Klitschko: Nun, die Industrie braucht natürlich Energie, daher halte ich einen sofortigen Ausstieg nicht für möglich. Wir müssen alternative Energiequellen finden, wenn die gefunden sind, kann Europa aussteigen.
Sie klingen nicht nur wie ein Politiker, Sie sind auch einer. Im Film ist eine Rangelei aus dem Stadtparlament von Kiew zu sehen, in dem Sie Abgeordneter sind.
Klitschko: Das war wirklich eine sehr peinliche Situation für mich. Ich wollte mit Worten überzeugen, und plötzlich schubst mich jemand und ich stolpere gegen andere Leute. Ich bin der stärkste Mann im Parlament und zugleich der schwächste, denn ich kann mich nicht wehren.
Was haben Sie gemacht?
Klitschko: Ich trainiere seit 25 Jahren, wie ich einen Menschen k.o. schlagen kann. Und seit 25 Jahren wünsche ich mir, dass ich auf der Straße mal eine Frau beschützen kann, die angegriffen wird. Aber immer, wenn ich dabei bin, greifen keine Hooligans an. Nur im Parlament von Kiew ist mir sowas passiert. Ich habe böse geguckt und gesagt: „Noch einmal Jungs!“ Das hat zum Glück gereicht, und sie haben aufgehört.
Sie sind jetzt 39 Jahre alt und können nicht ewig boxen. Spielt Ihre zweite Karriere in Hollywood oder in der Politik?
Klitschko: Mein Bruder Wladimir ist ein Mann für Hollywood, er liebt das Showbusiness, er kann damit umgehen und fühlt sich wohl dabei. Ich gehe lieber in die Politik, denn ich möchte kein Sofa-Experte werden und immer nur reden und reden und reden. Ich liebe meine ukrainische Heimat und möchte dort viele Dinge verändern.
Zum Beispiel?
Klitschko: Die Korruption ist ein großes Problem der Ukraine. Viele Politiker dort achten zuerst auf ihren eigenen Vorteil. Wenn Sie auf den Parkplatz des Rathauses von Kiew kommen, sehen sie dort Lamborghinis, Maybachs und manchmal sogar einen Rolls Royce. Die Leute von der Automesse in Detroit wären sicher neidisch auf diesen Fuhrpark.
Demnach werden Sie also irgendwann Präsident der Ukraine?
Klitschko: Ich möchte Bürgermeister von Kiew werden. Kiew ist das Herz der Ukraine. Das Herz pumpt das frische Blut überall hin, deshalb muss man in Kiew anfangen. Mein Ziel ist nicht ein goldenes Schild an der Tür, auf dem „Bürgermeister“ steht, ich möchte das Land modernisieren und nach Europa führen, dafür baue ich gerade mein Team auf.
Geht das neben dem Boxen?
Klitschko: Das geht. Ich bin 39 Jahre alt, ich stehe erst am Anfang. Ich habe Visionen, und ich habe Kraft.
Was übernehmen Sie aus Deutschland?
Klitschko: Zum Beispiel die Toleranz. Es ist unglaublich, wie ich als Ausländer aufgenommen worden bin, Deutschland hat mich adoptiert. Aber zugleich darf ich meine Wurzeln natürlich nicht vergessen.
Ihr nächster Gegner, der Pole Tomasz Adamek, steht für September fest. Haben Sie keine Angst, dass Ihnen mit fast 40 die Kraft ausgeht?
Klitschko: Im Gegenteil, ich werde immer besser, denn ich verpulvere nicht mehr soviel Energie wie mit 24 Jahren. Und die Angst ist ein Freund des Menschen, es kommt nur darauf an, wie man mit ihr umgeht.
Wie blenden Sie das Risiko des Boxens aus?
Klitschko: Jeder von uns geht doch jeden Tag ein Risiko ein, zum Beispiel, wenn er sich ins Auto setzt. Man muss eben die Gefahr minimieren, im Boxen geht das über Training und Technik. Sollte ich eines Tages merken, dass meine Reaktionen nachlassen, höre ich sofort auf.
Und die Gefahr, andere beim Boxen zu verletzen?
Klitschko: Die ist da, das kann im Boxen passieren. Zuletzt ist mein Gegner Shannon Briggs nach dem Kampf gegen mich zusammengebrochen und musste ins Krankenhaus. Meine Freunde und ich haben gefeiert, bis wir am nächsten Morgen hörten, dass Briggs noch immer im Krankenhaus liegt. Ich bin sofort hingefahren. Seine Frau saß vor der Intensivstation und weinte. Es war ein Moment, in dem mir die Worte fehlten. Ich hatte keine Ahnung, was ich sagen sollte.
Und dann?
Filmpremiere Klitschko
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Klitschko: Am nächsten Tag habe ich die Zeitung aufgeschlagen und gelesen, dass Shannon Briggs wieder okay ist und bereits getönt hatte: Ich komme wieder und mache den Klitschko platt. Da wusste ich: Alles gut gegangen!
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