Mönchengladbach. Die Borussia hat sich komplett erneuert und spielt einen bärenstarken Endspurt - sogar der Klassenerhalt ist noch möglich. Die Zuversicht, nach zuletzt drei von vier gewonnenen Spielen, ist in der Mannschaft da.
Es war am 18. März 2011. Und am Abend des Tages faustete Torhüter Logan Bailly den Ball ins eigene Tor. Es war mehr als eine unglückliche Aktion, es war ein beinahe schon komisches Missgeschick, bestens tauglich als Symbol für den nahenden Niedergang. Borussia Mönchengladbach verlor an jenem Tag mit 0:1 gegen den 1. FC Kaiserslautern, und die Botschaft des Spiels war eindeutig: Die Gladbacher müssen schwer aufpassen, nicht auch noch zum Gespött der Liga zu werden.
Trainer Lucien Favre saß damals, vor beinahe sieben Wochen, im Presseraum des Klubs und sagte, furchtbar bleichgesichtig: „Wir müssen bis zum Saisonende Profis sein.“ Und das war der Satz, der hängen blieb, der Appell an die Ehre, diese offensichtlich verhunzte Saison noch einigermaßen würdevoll zu beschließen. Favres Hinweis, dass man „ noch nicht tot“ sei, musste man nach einer bitteren Vorstellung als jene Floskel abtun, die üblicherweise benutzt wird, wenn nichts mehr zu retten ist. Nicht weiter erwähnenswert.
Eberls gute Arbeit
Unglaublich eigentlich. Heute ist tatsächlich wieder alles anders. Heute, wenige Stunden vor dem Spiel am Samstag gegen den SC Freiburg, benutzt der Trainer schon wieder das Wort „tot“. Er sagt: „Wenn wir verlieren, sind wir tot.“ Aber dieser Satz hat einen ganz anderen Klang verglichen mit der Grabrede nach dem K.o. gegen Kaiserslautern. Der Optimismus, das scheinbar Unmögliche in letzter Sekunde doch noch zu schaffen, ist wieder da. Gladbach glaubt wieder.
Und erneut gibt es ein Symbol. Es ist die herausgestreckte Zunge von Marco Reus. Der Wirbelwind, der mit einem Gewaltschuss dafür sorgte, dass die Gladbacher nach dem Sieg über die Deutschen Meister aus Dortmund auch noch die Höhenflieger und Champions League-Anwärter aus Hannover mit 1:0 besiegten, freute sich nach seinem Treffer ungemein diebisch. „Ätsch, wir leben noch“, lautete das unmissverständliche Signal des Blondschopfs.
Und wenn es tatsächlich noch klappen sollte mit dem Klassenerhalt, dann hat sich der 21-Jährige mit diesem Treffer womöglich selbst den größten Gefallen getan. Denn er will nicht weg aus Gladbach, hier hat er seine Kumpels gefunden, mit denen er unterwegs ist, und hier hat er nicht grundlos seinen Vertrag bis 2015 verlängert. Ohne Ausstiegsklausel wohlgemerkt, ein Deal, den sich Sportdirektor Max Eberl durchaus zugute halten darf.
Um den letzten Strohhalm kämpfen
Jener Eberl, dem wochenlang nichts anderes übrig blieb, als gebetsmühlenhaft zu betonen, man werde „um den letzten Strohhalm kämpfen“, durfte am vergangenen Samstag mit einiger Genugtuung daran erinnern, wie oft seine Borussia in dieser Saison schon endgültig abgeschrieben worden sei. Keine Frage: Kaum einer profitiert so sehr von der jüngsten Entwicklung wie der Sportdirektor. Denn wer ihm immer noch anlasten will, zu lange an Trainer Michael Frontzeck festgehalten zu haben, muss jetzt fairerweise einräumen, mit Lucien Favre, dem zunächst umstrittenen Nachfolger, einen offenbar glänzenden Griff getan zu haben.
Als der Schweizer Fußball-Lehrer im Februar in Gladbach vorgestellt wurde, hatte man bewusst auf einen so genannten Feuerwehrmann verzichtet, obwohl das Team mit sieben Punkten hinter dem Relegationsplatz lag. Heute sind es nur noch zwei. Denn dem Coach ist es gelungen, die Gladbacher Schießbude zu schließen und die Punkte in zehn Spielen von 16 auf 32 zu verdoppeln. Eine bessere Bilanz hätte auch ein Heißmacher auf dem Trainerstuhl kaum hinbekommen.
Mit dem gerade erst 19 Jahre alt gewordenen Torwart Marc-André ter Stegen, auf dem Boulevard schon als „Mini-Kahn“ gefeiert, scheint Favre endlich eine Lösung für Borussias Torwartproblem gefunden zu haben. Zudem passen Routinier Martin Stranzl in der Innenverteidigung sowie Havard Nordveit vor der Abwehr, beide bereits im Winter gekommen, perfekt ins taktische Konzept des Trainers, der sich nicht scheute, den altgedienten Tobias Levels auszumustern und Tony Jantschke auf die rechte Verteidigerposition zu beordern.
Es sind Umstellungen, die mitverantwortlich dafür sind, dass die Gegner nicht mehr hemmungslos kombinieren können, dass Passwege plötzlich zugestellt sind, und dass die Borussia aus einer Ordnung agiert, die es ermöglicht, fair zu spielen und, immer wenn sich die Chance ergibt, mutig nach vorne zu stürmen.
Lebenszeichen in der Liga
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Erfrischender Aufwind
„Im Moment haben wir sehr erfrischenden Aufwind“, freut sich Max Eberl über ein Team, das unverkennbar gewachsen ist und das seit Wochen wie eine funktionierende Gemeinschaft auftritt, die, und das ist die große Gefahr, aber schnell wieder zusammenbrechen kann. Schon eine Pleite gegen Freiburg könnte alle Hoffnungen wieder zerstören.
Denn trotz der so positiven Tendenz sind die Gladbacher nach wie vor auf fremde Hilfe angewiesen. Selbst zwei Siege in den restlichen Spielen gegen Freiburg und in Hamburg sind keine Garantie auf den Klassenerhalt. Ohne eine Niederlage von Eintracht Frankfurt, so muss man wohl rechnen, bleibt der Relegationsplatz unerreichbar.
Die Frage ist also, ob Frankfurt, das eine katastrophale Rückrunde spielt, noch die Wende schafft? Oder muss Eintracht-Chef Heribert Bruchhagen am Ende eingestehen, mit Trainer Christoph Daum einen folgenschweren Fehlgriff getan zu haben? Vor dem Endspurt ist absolut nichts auszuschließen. Die Eintracht spielt gegen Köln, das unbedingt noch Punkte braucht, und in Dortmund, das sich die Meisterfeier nicht verderben lassen will.
Und Wolfsburg? Die Wölfe sind drei Punkte enteilt, sie treten gegen Kaiserslautern und in Hoffenheim an, und sie machten mit zwei Siegen zuletzt einen ebenso starken Eindruck wie die Borussia. Trainer Felix Magath scheint gerade noch im richtigen Moment die Kurve gekriegt zu haben mit seinem aufgemotztem Volkswagen. Oder?
Erst in gut zwei Wochen, am 14. Mai gegen 17.20 Uhr, wird diese Saison Geschichte sein. An diesem Samstag werden unzählige Fotos geknipst. Und einige werden natürlich symbolisch sein. Eine verunglückte Faustparade? Eine herausgestreckte Zunge? „Wir haben zuletzt drei von vier Spielen gewonnen, und ich bin überzeugt, dass wir diese Leistung auch weiter abrufen - dann packen wir es“, versichert Max Eberl.
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