Mesut Özil wie ein stummer Gefangener in Mourinhos System
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Barcelona. . Der deutsche Spielmacher Mesut Özil leidet bei Real Madrid manchmal unter der Strategie seines Trainers Jose Mourinho. Aber am Dienstag im Champions-League-Halbfinale beim FC Barcelona muss Real offensiv spielen.
Wenn er leidet, sieht er genauso aus wie wenn er genießt. Mesut Özil spielt ohne Mimik Fußball. In seinem Gesicht ist nichts außer diesem steinernen Ausdruck absoluter Konzentration. So ging er auch am vergangenen Mittwoch in die Halbzeit des Champions-League-Halbfinalhinspiels zwischen Real Madrid und dem FC Barcelona, doch dieses Mal sagte sein nichts sagendes Gesicht ungewollt alles: Mesut Özil, kleiner Deutschtürke aus Gelsenkirchen mit den jungen Augen und den alten Zügen, in den sich das Madrider Publikum diese Saison Hals über Kopf verliebte, war von der Taktik seines eigenen Trainers zur Leere verdammt worden.
Fakten und Mythen
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Die Ultradefensive, die Trainer José Mourinho Real für die vier Partien in 17 Tagen gegen Barça verordnete, ist taktisch plausibel. Aus Mesut Özil jedoch wurde so ein Ballspieler ohne Ball. Erst am heutigen Dienstag, im letzten der vier Zusammenstösse der furiosen Widersacher Real und Barça beim Champions-League-Rückspiel, könnten Özil und sein Team wieder zusammenfinden: Der 0:2-Rückstand nötigt Real, etwas zu wagen; sie werden zwar auch diesmal massiv verteidigen, aber wohl nicht ganz so tief in der eigenen Spielhälfte. Bei den Kontern sollte Özil dann nicht so fern wie im Hinspiel von des Gegners Tor gestrandet sein und drei statt nur einen Anspielpartner in der Offensive finden.
18mal berührte er im ersten Halbfinalspiel überhaupt nur den Ball, ehe er zur Halbzeit ausgetauscht wurde. Normalerweise schlägt er allein an Pässen mehr als 30 pro Halbzeit. Ohne etwas dafür zu können, wurde Özil das Symbol dafür, was in der Hitze des Überclásicos auf der Strecke blieb. Die Öffentlichkeit ließ sich von Mourinhos kalkuliertem Ätzen gegen Schiedsrichter, Gegner und die ganze Welt in die Hysterie leiten, dabei setzt er dieselben verbalen Angriffe schon seit einem Jahrzehnt zum Ablenken ein. Vom Fußball war unter diesem wilden Gezeter kaum noch etwas zu sehen. Und Mesut Özil existiert nur als Fußballer.
Nach zehn Monaten kein Wort Spanisch
Er kann und will nicht betörend sprechen. So ist es ein Glück, dass er nach zehn Monaten in Madrid noch immer kein Spanisch redet: Die Spanier, die ihn nie sprechen hören, hatten noch keine Gelegenheit zu merken, dass er eintönig erscheint, sobald er mit Wörtern statt einem Ball hantiert. Diese öffentliche Stummheit lässt ihm seine Reinheit, seinen Zauber als Fußballspieler. In Reals rasendem Angriffsspiel, das sie außerhalb der Clásicos praktizieren, bringt er oft mit einem einzigen Steilpass Klarheit in den Spielzug. Nicht selten wirken Reals Kombinationen improvisiert, weil Spieler wie Cristiano Ronaldo oder Ángel di María, beide mit mehr Talent als Verstand, nicht genau zu wissen scheinen, was sie da tun. Und plötzlich eröffnet Özil mit dem Pass in den Strafraum einen neuen Horizont. „Özil ist ein Kind von 23 Jahren“, sagt Mourinho, „und er hat uns schon alle erobert, das Publikum, die Presse, mich. Er kann Reals Spiel auf zehn Jahre bestimmen.“
Wie das Publikum wissen auch die Mitspieler nicht, wie er eigentlich ist. Auch in der Intimität der Umkleidekabine hält er sich sprachlos zurück. Gerade aber weil er kaum redet, glauben die Kollegen, er sei sicher sehr nett.
Die Demut des Dieners
Er strahlt diese angenehme Natürlichkeit und Bescheidenheit aus. Tatsächlich spielt er Reals Maestro mit der Demut eines Dieners. Als er sich im Ligaspiel gegen Barça einen Freistoss zurecht legte, kam Cristiano Ronaldo und nahm ihm ohne ein Wort den Ball weg. Freistösse schieße ich, sagte Ronaldos Gestik. Özil wich widerstandslos. Er litt wieder einmal wie er genießt, mit diesem Gesichtsausdruck absoluter Ausdruckslosigkeit. Fußballer wie er, vertieft in ihre Aufgabe, aufwühlende Gefühle zu schaffen, geben sich keine Zeit, ihre Gefühle zu zeigen.
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