Kaiserslautern. . Die Ansprüche an die Nationalelf sind gewachsen. Das demonstrieren die Pfiffe bei einem 4:0-Sieg.
Bevor die Partie gegen Kasachstan angepfiffen wurde, konnte davon ausgegangen werden, dass sie den Spannungsgehalt eines Heftchenromans haben würde, in dem aufopferungsvolle Krankenschwestern an ihrer Liebe zu Chefärzten mit Adelstitel herumdoktern. Als Sieger gegen den Weltranglisten-132. geht vom Platz: die deutsche Nationalelf. Das stand auf dem Anamnesebogen. Und so ist es auch gekommen. Die Schüler aus dem Hochbegabten-Seminar von Bundestrainer Joachim Löw haben den Fußballzwerg im Kaiserslauterer Fritz-Walter-Stadion mit 4:0 abgefertigt. Makellos ist ihre Bilanz in der EM-Qualifikation. Nach fünf Begegnungen sind 15 Punkte eingefahren. 17 Treffer wurden erzielt, einer mit Bedauern hingenommen. Der Weg nach Polen und in die Ukraine ist asphaltiert.
Was in den vergangenen Jahren als schön und gut gefeiert worden wäre, erzeugte beim Publikum auf dem Betzenberg allerdings einen Gefühlsmix aus nicht amüsierter Akzeptanz und Missmut. Und das demonstrierte erstmals klar, dass sich eine Zeitenwende vollzogen hat. Die Ansprüche sind hoch geschossen wie Frühblüher am ersten Prallsonnentag. Es wird bei der Nationalelf nicht mehr allein das Pflichtprogramm benotet, sondern auch die Kür, das berauschende, das wunderbar dahin fließende Spiel.
Vor allem in Halbzeit zwei konnte oder wollte die deutsche Mannschaft dies nicht bieten. Der Gegner war doch so kleinkindchenharmlos. Die 1:0-Führung durch Länderspieltreffer 60 von Miroslav Klose in seinem 107. Adlertrikoteinsatz wurde bereits in Minute drei fixiert. Zwei weitere Tore fügte Thomas Müller hinzu (25., 43.). Sache abgehakt. Am Ende konnte nicht einmal der Fachmann Löw die Frage eines kasachischen Journalisten, wie der kasachische Spieler denn so zu bewerten gewesen sei, beantworten: „Ich habe nur auf unsere Spieler geachtet.“
Pfiffehagel für Schweinsteiger
Vor allem wahrscheinlich auf Bastian Schweinsteiger. Der Münchner hatte den Freistoß getreten, der zum ersten Treffer von Klose führte. Und danach hatte er den Zorn der 47 984 Zuschauer durch Ballverzockerei, Pässe über die Begrenzungslinien des Feldes hinaus und Schnöselheber ins Nichts auf sich gezogen. Als der Schweini in der 78. Minute ausgewechselt wurde, prasselte ein Pfiffehagel auf ihn ein. Der Bundestrainer empfand dieses Tief als „äußerst unangenehm“. „Es ist nur normal, dass ein Spieler mal nicht diese geistige Frische hat“, erklärte er die Aussetzer seines Strategen. Grandiose Leistung bei der WM, dann Freundschafts- und EM-Qualifikationsspiele und Bundesliga, Pokal und Champions League mit den Bayern. Das zehre.
Klose, der die Partie in der 88. Minute noch mit dem 4:0 abgerundet hatte, versuchte sich an einer weiteren Erklärung. Kasachstan hätte die Reihen so dicht geschlossen, „da mussten wir den einen oder anderen Risikopass spielen“. Schweinsteigers Pässe waren aber nicht einmal riskant fürs eigene Team. Gefährdet haben seine Schläge eher alle, die sich nicht auf Rasen befanden. Ob Mangel an Frische, zementierte Gegnerreihen, eine zum Verwalten einladende frühe Führung oder die Schnöseligkeit des Talentspielers für die Aussetzer verantwortlich waren, lässt sich nicht bestimmen. Leicht zu bestimmen ist dagegen der atmosphärische Druck, dem die Nationalelf nach ihrem Prachtvollfußball bei der WM ausgeliefert ist. Miroslav Beranek, Trainer der Kasachen, hat ihn gemessen: „Ich bin sicher, dass sie bei der EM 2012 der große Favorit sein wird.“
Basislager für Klose
Unter diesem neuen, anderen Druck frei zu atmen, das muss das Löw-Ensemble noch lernen. Schweinsteiger hat nach der Partie ein bisschen gerüpelt: „Sollen die doch mal gegen eine Mannschaft spielen, die nur hinten drin steht.“ Der Madrilene Sami Khedira hat gemeiner auf die Feinsinnigkeit des spanischen Publikums hingewiesen: „In Spanien lieben sie den Fußball, da wird die eigene Mannschaft bis zum Schluss unterstützt.“
Manchmal sind ein paar Jahre mehr auf dem Buckel eben doch von Vorteil. Der 32-jährige Klose hat abgeklärt festgehalten, dass die Leute „bei gutem, temporeichen Fußball auch hinter uns stehen“ – und sich ansonsten der Folklore hingegeben. 107. Spiel. In der ewigen Rangliste nur noch Lothar Matthäus (150) und Jürgen Klinsmann (108) vor ihm. 61 Treffer. In der ewigen Rangliste nur noch Gerd Müller vor ihm (68). Und Teammanager Oliver Bierhoff reist im April bereits in den EM-Osten, um nach einem Quartier für Sommer 2012 zu suchen, nach dem Basislager für Rekordjäger Klose. Sozusagen.