Rom. Nur drei Monate Sperre, Rückkehr als Nummer eins in Rom und Paris: Der Fall Jannik Sinner sorgt für Verwunderung und Verärgerung.

Wenn am 7. Mai die Internationalen Tennis-Meisterschaften im Foro Italico zu Rom beginnen, wird auch der „Rote Baron“ mit am Start sein. Mit diesem Kosenamen haben die Tifosi Jannik Sinner ausgeschmückt, den Mann, der augenblicklich souverän und einsam die Weltrangliste seines Sports anführt. Es wird allerdings ein in jeder Hinsicht passender Auftritt des Lokalmatadors Sinners sein, ein Auftritt, den manche Branchenzyniker auch als „passend gemacht“ beschreiben dürften, oder: „maßgeschneidert.“ 

Sinner wird beim größten Turnier seines Heimatlandes keineswegs einfach nur ganz selbstverständlich aufschlagen, er wird genau bei diesem Lokaltermin im Frühling ein aufsehenerregendes Comeback nach verbüßter Dopingsperre bestreiten. Denn erneut wie aus heiterem Himmel ereilte die Tennisszene ja am Wochenende die spektakuläre Nachricht, dass sich die Weltdopingagentur (WADA) und Team Sinner auf eine dreimonatige Sperre geeinigt hätten, die exakt vor den Italian Open in der Ewigen Stadt ausläuft – ein eher ungewöhnlicher Vergleich, der für Verwunderung ebenso wie für Verärgerung in der Branche sorgt. Und für ein massives Glaubwürdigkeitsproblem.

Denn über diesem im Grunde folgenlosen Schuld-Spruch schwebt ganz eindeutig für viele Kollegen und Fachbeobachter der Verdacht eines Promi-Bonus, einer unangemessenen, generösen, allzu großzügigen Vorzugsbehandelung. „Zu bequem“ sei Sinner davongekommen, erklärte der frühere britische Weltklassemann Tim Henmann nach dem Abkommen, das sich fast obligatorisch ins Schema von Hinterzimmerdeals und Versteckspielereien im Doping-Abwehrkampf des Tennis fügt. Schon das Bekanntwerden des Dopingfalls Sinner hatte im letzten August für allerhand Kritik gesorgt. Schließlich hatte da das Vergehen des 23-jährigen Frontmannes schon viele Monate zurückdatiert – bis zum März 2024, in dem zwei Positivproben Sinners auf das Steroid Clostebol aufgetaucht waren. 

Wada akzeptiert Sinners Begründung

Sinner war seinerzeit jeweils sehr kurz gesperrt worden, hatte dann aber nach erfolgreichen Einsprüchen weiterspielen dürfen. Seine Erklärung, dass die Substanz bei einer Massage über die Hände seines Physiotherapeuten unwissentlich in den Körper gelangt sei, akzeptierte zunächst ein eingeschaltetes unabhängiges Schiedsgericht – und nun auch die Weltdoping-Agentur Wada Der Südtiroler habe nicht betrügen wollen, zudem könne eine leistungssteigernde Wirkung ausgeschlossen werden, teilte die Wada am Samstag mit. „Ich habe immer akzeptiert, dass ich für mein Team verantwortlich bin. Und ich glaube, dass die strengen Wada-Regeln wichtig sind für den Sport, den ich liebe“, sagte Sinner selbst, „auf dieser Grundlage habe ich das Angebot…angenommen, das vorliegende Verfahren zu regeln.“ Beschweren kann sicher der Nummer eins-Spieler da nicht im mindesten.

Jannik Sinner mit der Trophäe nach seinem Triumph bei den Australian Open.
Jannik Sinner mit der Trophäe nach seinem Triumph bei den Australian Open. © dpa | Asanka Brendon Ratnayake

Die Wada jedenfalls vollzog eine erstaunliche Kehrtwende, denn ursprünglich hatte sie ja gegen das Urteil des Tennis-Schiedsgerichts vor dem Internationalen Sportgerichtshof Cas Berufung eingelegt. Nun also die Einigung auf eine dreimonatige Sperre, bei der die Initiative seltsamerweise von der Wada selbst ausging. „Aufgrund der besonderen Sachlage dieses Falls wird dies als angemesses Ergebnis betrachtet“, hieß es in einem Statement.

Die Frage, die sich allerdings nach diesem neuerlichen Paukenschlag im bisher prominestesten Tennis-Dopingfall neben der Causa Scharapowa stellte: Wäre die Nummer 100 oder 500 oder 1000 der Centre Court-Hackordnung mit einer ähnlich milden Strafe abgeurteilt worden? Hätte es überhaupt einen Vergleich gegeben oder nicht doch ein Cas-Verfahren? Die alternative Spielergewerkschaft PTPA nannte den eher dubiosen Vorgang eine „Vertuschung unfairer Geschäfte und inkonsistenter Lösungen“. An einen „sauberen Sport“ glaube er sowieso nicht mehr, befand resignierend der Schweizer Grand Slam-Champion Stan Wawrinka.

Triumph bei Australian Open im Finale gegen Zverev

Hinzu kommt das geradezu perfekte Timing für Sinner, der seit Beginn der ganzen Affäre bis zur Sperre ab dem 9. Mai 2025 durchspielen konnte. Und dabei beispielsweise die US Open in New York, das WM-Finale in Turin, den Davis Cup mit Italien und zuletzt auch noch die Australian Open gegen Alexander Zverev gewann. Sinner behält laut dem Vergleich mit der Wada nun auch alle Ranglistenpunkte und Preisgelder, man habe derartige Sanktionen ohnehin nicht angestrebt, hieß es von der Agentur.

Sinner hatte bei seinen Erfolgszügen stets betont, er könne trotz aller Kritik und Vorwürfe unbelastet aufspielen, weil er um seine Unschuld wisse: „Ich bin mit mir im Reinen“, hatte er während der Australian Open betont, „sonst würde ich niemals diese Ergebnisse erzielen.“ Auf Unmutsbekundungen wird er sich hier und da dennoch einstellen müssen, auch auf eine gewisse Reserviertheit von Kollegen. 

Wenn Sinner Anfang Mai in den Tenniszirkus zurückkehrt (er fehlt zwischendrin auch bei den Münchner BMW Open), wird er noch 9730 Punkte auf seinem geschmolzenen Konto haben. Für Zverev, seinen Melbourne-Finalgegener und ärgsten Verfolger, böte sich theoretisch die Chance zu einem Überholmanöver, er müsste dafür wohl gut 2500 Punkte aufsammeln – etwa mit Titeln bei Masters 1000-Turnieren wie Miami, Indian Wells, Madrid und Monte Carlo. Aber zum ganzen schalen Eindruck der Affäre würde womöglich selbst für Zverev passen, sich auf diese Weise den Lebenstraum von der Gipfelbesteigung zu erfüllen.