Dortmund. Der BVB ist abgerutscht. Ein neuer Trainer wird gesucht, den Klub belasten interne Querelen. Eine Bewährungsprobe für Lars Ricken.

Wen auch immer man bei Borussia Dortmund fragt, fast immer lautet die Antwort, dass Lars Ricken jemand sei, der auf Harmonie setze, der glaube, dass Erfolg nur durch Zusammenhalt erreicht werden könne. Ein Chef, bei dem die Tür offenstehe.

Doch wer den BVB derzeit als harmonisch beschreibt, der hält den Phoenix-See auch für das Mittelmeer. Es herrscht Ausnahmezustand, der Klub ist in eine Krise gestürzt. Trainer Nuri Sahin musste gehen, U19-Trainer Mike Tullberg übernimmt übergangsweise beim Heimspiel am Samstag (15.30 Uhr/Sky) gegen Werder Bremen. Der seit einem halben Jahr schwelende Konflikt zwischen Kaderplaner Sven Mislintat und Sportdirektor Sebastian Kehl hat sich weiter zugespitzt. Die Mannschaft gibt ein erschreckendes Bild ab. Ein Trümmerhaufen.

Mike Tullberg leitet die BVB-Elf für ein Spiel.
Mike Tullberg leitet die BVB-Elf für ein Spiel. © dpa | Bernd Thissen

BVB: Zwischen Ricken und Watzke passt kein Blatt Papier

Diesen muss Ricken nun zusammenkehren, neues Fundament gießen und dadurch zeigen, dass er den Großklub wieder nach oben hieven kann. Seit nicht mal einem Jahr verantwortet der 48-Jährige, der 1997 so schön lupfte wie niemand sonst, den sportlichen Bereich. Hans-Joachim Watzke brachte Ricken damals für diese Position, die er selbst freiräumte, ins Spiel. Weiterhin passe zwischen beide, so dringt es aus dem Klub, kein Blatt Papier. Watzke, immer noch Vorsitzender der Geschäftsführung, sei fest davon überzeugt, dass Ricken diese Situation lösen könne.

Damit dies aber gelingt, muss zunächst die drängendste Personalie gelöst und ein Sahin-Nachfolger gefunden werden. Mehrere Namen schwappen durch die Berichterstattung: Niko Kovac, Roger Schmidt, Erik ten Hag. Nach den Informationen dieser Redaktion konzentrieren sich Ricken und Kehl gerade darauf, jemanden zu finden, der die verunsicherte Elf stabilisiert. Es soll niemand sein für eine goldene Zukunft, sondern einer für kurzfristigen Erfolg.

BVB: Lars Ricken hat die Trainersuche an sich gerissen

Roger Schmidt wird es nicht, auch die Personalie Erik ten Hag rückt in den Hintergrund. Kovac hingegen ist zwar nicht die Wunschlösung, aber er zählt zu den Kandidaten, denen die Verantwortlichen zutrauen, den Sturz in Richtung Abgrund aufzuhalten. Der 53-Jährige hat mit Eintracht Frankfurt den DFB-Pokal gewonnen, mit dem FC Bayern das Double. Er gilt nicht als taktischer Feingeist, sondern als jemand, der eine Mannschaft hart anpackt und vor großen Namen nicht zurückschreckt.

Ricken hat diese Trainersuche an sich gerissen, stimmt sich dabei mit Kehl ab. Hans-Joachim Watzke hält sich raus, auch von der Sahin-Entlassung hat er nur im Anschluss erfahren. Noch hoffen die Verantwortlichen, den Rückstand auf die Champions-League-Ränge (sieben Punkte) aufholen zu können. Ohne das Königsklassen-Geld müsste der BVB im Sommer ein oder zwei wertvolle Profis verkaufen. Das würde die Situation verkomplizieren, denn es ist offensichtlich, dass es dem Kader schon jetzt an herausragender Klasse fehlt.

BVB-Sportdirektor Sebastian Kehl (links) und Kaderplaner Sven Mislintat.
BVB-Sportdirektor Sebastian Kehl (links) und Kaderplaner Sven Mislintat. © dpa | dpa

Hinzu kommt der Zwist zwischen Kehl und Mislintat. Im vergangenen Sommer haben Watzke und Ricken entschieden, den 52-Jährigen, der von 2006 bis 2017 bereits als Chefscout in Dortmund gearbeitet hatte, als Kaderplaner einzusetzen. In der Branche gilt Mislintat als kompliziert, von Beginn an eckten er und Kehl an, mittlerweile reden beide gar nicht mehr miteinander, kommunizieren nur über Ricken. Mislintat wird vorgeworfen, dass er hinter Kehls Rücken an der Autorität des Sportdirektors kratze. Kehl wird vorgeworfen, dass er Mislintat keine Chance eingeräumt habe. Fest steht: Die Zukunft eines Vereins lässt sich so nicht gestalten.

BVB hat sich in diesem Winter noch nicht verstärkt

Dies haben auch Lars Ricken und Hans-Joachim Watzke erkannt. Nach der Trainersuche wollen sie dieses Problem beheben. So könne es nicht weitergehen, heißt es. Kehls Vertrag wurde nach einem langen Hin und Her gerade erst bis zum Jahr 2027 verlängert. Es deutet sich daher an, dass Mislintat seinen Stuhl wird räumen müssen. Wobei auch Kehl im Klub vorgehalten wird, in die aktuelle Winter-Transferperiode viel zu unvorbereitet gestolpert zu sein. Noch hat sich der BVB nicht verstärkt. Jetzt soll zunächst abgewartet werden, wer der neue Trainer wird, um sich dann über Transfers abzustimmen.  

Eigentlich war Lars Ricken nämlich fest entschlossen, mit Nuri Sahin weiterzuarbeiten. Erst der verschreckende Auftritt in Bologna sorgte dafür, dass die Entschlossenheit verflog und die Entlassung folgte. Diese sei menschlich sauber verlaufen, berichten viele Vereinsvertreter. Im Hotel seien Tränen geflossen, als sich Sahin verabschiedet habe.

Auch in Krisensituation möchte Ricken fair bleiben, harte Entscheidungen wird er in dieser Bewährungsprobe trotzdem fällen müssen. Als der gebürtige Dortmunder im Mai 2024 vorgestellt wurde, hatte er gesagt: „Wir machen das hier nicht zur persönlichen Weiterentwicklung, wir machen das für die Fans. Sie sollen glücklich nach Hause gehen.“ Davon aber ist der BVB gerade weit, weit entfernt.