Essen/Krefeld. Vorstände bekriegen sich öffentlich, Gehalt bleibt aus, die Mannschaft rechnet ab: Jetzt ist der Regionalligist KFC Uerdingen insolvent.
Ein Hauch von damals wehte Ende November durch die Grotenburg. Der KFC Uerdingen hatte den MSV Duisburg zu Gast, musste sich nach großem Kampf mit 1:2 geschlagen geben. 10.000 Zuschauer peitschten ihre Mannschaften frenetisch an. Als Jan-Simon Symalla die Partie per Kopf zu Gunsten des MSV entschied, jubelte die Mannschaft vor der Kurve. Einige Fans waren im Innenraum, andere saßen auf dem Zaun - teils begeistert brüllend, teils vermummt, teils mit Pyrotechnik in der Hand. Diese zwei Riesen vergangener Tage wirkten an diesem Nachmittag so nah beieinander - und doch könnten sie kaum verschiedener sein.
Denn während der MSV Duisburg erfolgreich am direkten Wiederaufstieg in die 3. Liga arbeitet, herrscht beim KFC Uerdingen das blanke Chaos. Das gipfelte darin, dass das Finanzamt Krefeld nun einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gegen den KFC gestellt hat. Ein echter Startschuss für die Misere lässt sich kaum ausmachen, und doch beschleunigte sich die Dynamik im Verein mit dem MSV-Spiel noch einmal um ein Vielfaches.
KFC Uerdingen: Platzer vs. Kahstein/Röthig - Lagerbildung im Vorstand
Denn es gibt Streit im Vorstand. Schon vor der Partie gegen die Duisburger hatte sich abgezeichnet, dass es zwei Lager gibt. Auf der einen Seite Thomas Platzer. Vorstandsvorsitzender. Der gebürtige Münchener war in den 1990er Jahren einer der erfolgreichsten deutschen Skeletonpiloten und soll jetzt den KFC zurück in den überregionalen Fußball führen.
Mit auf seiner Seite: Mehmet Eser, Inhaber der Berateragentur „M Soccermanagement“, der beim KFC Uerdingen eine ganze Menge zu sagen hat. Ein offizielles Amt hat er nicht, dafür aber einen Kooperationsvertrag: Ohne Eser kann der KFC keine Entscheidungen im sportlichen Bereich treffen. Darüber hinaus hält er die Rechte an Catering und Marketing des Vereins. Vom 1. Juni 2024 an ist dieser Vertrag drei Jahre lang gültig. Die Gegenleistung? Ein Darlehen über 80.000 Euro, das den KFC Uerdingen in jenem Sommer vor der Insolvenz bewahrte.
Platzer hat aber auch zwei Vorstandskollegen: Peter Kahstein und Dirk Röthig. Über beide ist nicht viel bekannt, außer, dass sie in der zweiten Jahreshälfte zum Verein gestoßen sind. Kahstein ist Krefelder, war Geschäftsführer der mittlerweile insolventen Stadtwald Wohnungsbau UG. Röthig ist Jurist, was im späteren Verlauf noch eine Rolle spielen wird.
KFC Uerdingen: Kahstein/Röthig stellen versuchte Veruntreuung in den Raum, Platzer reagiert
Harmonisch war diese Gemengelage nie, doch mit eben jenem MSV-Spiel sollte es zum ersten Mal eskalieren. E-Mails zwischen Platzer und dem Ticketdienstleister LMS-Sport kamen ans Licht, Tenor: LMS wollte ausstehende Gelder an ein offizielles Konto des KFC Uerdingen überweisen. Platzer hingegen wollte veranlassen, dass das Geld auf ein Konto von Esers „M Soccermanagement“ geht. Er begründete das mit der Drittschuldnerregelung, wonach der KFC Schulden bei Eser abstottere.
Davon haben die Krefelder genug: Denn zu dem Darlehen über 80.000 Euro sind diverse Gehaltszahlungen hinzugekommen. Weil der Verein seine Spieler nicht bezahlt, ist Eser eingesprungen. Bis Dezember 2024 ging das gut. Dann stellte Eser nach rund einer halben Million Euro seine Zuwendungen vorerst ein.
In einem öffentlichkeitswirksamen Statement stellten Kahstein und Röthig ihre Sicht der Dinge dar. Der „Tatbestand der versuchten Untreue“ durch Platzer könne erfüllt sein. Fünf Tage nach dem MSV-Spiel stand der Vorstandsvorsitzende mit dem Rücken zur Wand. Doch das wollte der 55-Jährige nicht auf sich sitzen lassen und meldete sich im Interview beim KFC-Fanmedium „Radio Blau-Rot“ zu Wort - und schoss zurück. Platzer ließ allerlei Anschuldigungen und Verdachtsmomente auf seine Kontrahenten niederprasseln. Bei tausenden Euros sei der Verbleib nicht klar. Rund um das MSV-Spiel sei mit Absprachen gebrochen worden. Röthigs Sohn sei etwa die Kioske abgelaufen und habe „die großen Scheine herausgeholt“. Ist Geld weggekommen? Platzer stellte den Verdacht in den Raum.
KFC Uerdingen: Röthig verklagt Platzer, externer Wirtschaftsprüfer wird zur Farce
Der erste Advent war gerade passé, da standen sich die Vorstände des KFC Uerdingen öffentlich gegenüber. Kopf-an-Kopf sozusagen. Der Schlagabtausch hatte zweierlei Konsequenzen. Zum einen eine 248 Seiten lange Klage, die Platzer rund vier Wochen nach dem Interview erreichen sollte. Absender: Dirk Röthig. Zum anderen sollte ein unabhängiger Wirtschaftsprüfer Platzers Vorwürfe entkräften.
Der tat das zunächst auch. Die Ticketgelder seien korrekterweise auf ein Vereinskonto überwiesen worden. Der Bargeldverkehr rund um das Spiel sei geprüft worden, die Kassenabrechnung korrekt. Allerdings hat der Bericht auch Mängel. Es wurden lediglich Auszahlungen über 1000 Euro berücksichtigt. Zudem sei die Prüfung der Bargeldbestände an den einzelnen Kassen nicht vollumfänglich möglich gewesen. Platzers Behauptungen konnte das nicht nachhaltig entkräften.
Zudem warf der Wirtschaftsprüfer selbst weiter Fragen auf. Denn die beauftragte Kanzlei gehört zu der gleichen Unternehmensgruppe wie der damalige Steuerberater des KFC Uerdingen. Beide saßen bei der Prüfung mit am Tisch, gemeinsam mit Vereinsvertretern. Das geht aus dem Protokoll des Abends von jenem 3. Dezember 2024 hervor. Kann das noch unabhängig sein?
KFC Uerdingen: Vorstände bekriegen sich, doch keiner tritt zurück
Zeit, darüber nachzudenken hatten die Fans kaum, denn Eser goss weiter Öl ins Feuer. Mitte Dezember sprach er Klartext bei „Radio Blau-Rot“. Ein Hauptsponsor-Deal läge auf Eis - wegen des Verhaltens Kahsteins und Röthigs. Eser werde seine Zuwendungen einstellen. Keine fristlosen Darlehen mehr für den KFC Uerdingen, bis Kahstein und Röthig ihre Posten räumen.
Die wiederum denken offenkundig gar nicht daran. Öffentlich treten beide fast nie auf, juristisch dafür umso mehr. Diverse Personen aus dem Vereinsumfeld haben Klagen erhalten, etwa eben ihr Vorstandskollege Platzer. Das neue Jahr ist keine 14 Tage alt, da steht der KFC Uerdingen vor einem Scherbenhaufen. Der Vorstand ist zerstritten, doch zurücktreten will keiner. Die für den 22. Januar angesetzte Mitgliederversammlung kann nicht stattfinden, weil die Tagesordnung nicht rechtzeitig bekanntgemacht worden ist.
KFC Uerdingen: Mannschaft schreibt sechsseitigen offenen Brief
Und die Mannschaft, die sportlich noch die beste Figur abgibt, wartet schon seit Wochen auf Geld. Am 10. Januar griff das Team dann zu einem ihrer letzten Mittel: Ein sechs Seiten langer, offener Brief wurde publik. Der Kern: Platzer und Eser halten den KFC Uerdingen am Leben. Gerade Eser habe immer wieder ausgeholfen - nicht nur mit Gehältern. Er habe Fahrzeuge zur Verfügung gestellt, Probespielern Hotels finanziert und bei der Anmietung von Wohnungen unterstützt.
Mit Kahstein und Röthig rechnet die Mannschaft in einem Brief ab. Vorgestellt hätten sie sich nie, Begegnungen seien nur zufälliger Natur gewesen. In Sachen Gehälter hätten sie den Spielern geraten, sich doch einen neuen Verein zu suchen, da die Insolvenz ohnehin ins Haus stehe. Sportliche Kompetenz hätte Kahstein nicht, poltert die Mannschaft. Respektlos würden Röthig und er sich verhalten. „Auf der anderen Seite ein offenes Ohr von Herrn Platzer und natürlich Mehmet Eser, der für uns mittlerweile unverzichtbar ist“, schreiben sie.
Das scheint nicht jeder so zu sehen. Vielmehr scheint es rund um den KFC noch eine Gruppe zu geben, die der Fraktion Platzer/Eser das Leben schwermachen müsste. Ein als Reaktion auf den Brief der Mannschaft gestreutes, schriftliches Dementi im Namen des Teams stellte sich als Nebelkerze weniger Einzelner heraus. Einen echten Plan B zu Eser gibt es aktuell nicht. Denn er hält den Klub seit Monaten mit seinem Geld am Leben. Die Frage ist, wie lange noch. Denn es mit dem einstigen Bundesligisten könnte es schon bald vorbei sein.