Mönchengladbach. Gladbachs Vizepräsidentin Hannelore Kraft spricht über den Fußball-Standort NRW, die Bedeutung von Traditionsklubs und Vereinspolitik.
Hannelore Kraft hat eine kurze Nacht hinter sich. Die Mülheimerin war am Abend zuvor noch in Berlin, kam mit einem verspäteten Zug zurück, stand schon früh auf, um nun an diesem Morgen wieder im Borussia-Park zu sein. Die ehemalige NRW-Ministerpräsidentin hat in einer Loge Platz genommen, trägt einen schwarzen Blazer, an dem ein kleiner grüner Metall-Anstecker mit dem Logo von Borussia Mönchengladbach zu sehen ist. Diese Farbkombination mag bei ihr zunächst ungewöhnlich wirken, aber die 63-Jährige sitzt hier auch nicht als SPD-Politikerin, sondern als Vizepräsidentin des niederrheinischen Fußball-Bundesligisten. Seit neun Monaten ist sie im Gremium ihres Herzensklubs tätig, nun nimmt sie sich Zeit für ein längeres Gespräch.
Wie gefällt Ihnen die Aufgabe im Präsidium, Frau Kraft?
Hannelore Kraft: Dieses Ehrenamt macht mir unglaublich viel Spaß. Das war immer ein Lebenstraum von mir, der in Erfüllung gegangen ist.
Sie sind schon lange Zeit Gladbach-Fan. Inwiefern ändert sich durch die Tätigkeit im Gremium die Perspektive?
Ich weiß mehr, habe mehr Einblick in die Interna. Für mich ist das alles unglaublich spannend. Ich lerne jeden Tag dazu. Das ist in meinem Alter großartig. Aber ich denke, dass ich dem Verein auch mit meinem Wissen auf unterschiedlichen Gebieten helfen kann.
Sie haben als junge Frau damals eine Ausbildung zur Bankkauffrau gemacht, danach Wirtschaftswissenschaften studiert und elf Jahre in der Unternehmensberatung gearbeitet. Was können Sie mit diesem Hintergrund bei Borussia einbringen?
Es ist sicher kein Nachteil, wenn man eine Bilanz lesen und hinter die Zahlen gucken kann. Aber um diese Dinge kümmern sich vor allem unsere kompetenten Geschäftsführer.
Welche Rolle spielt Politik in einem Verein?
Fußball ist immer auch Politik. Deshalb sprechen wir auch von Vereinspolitik. Man könnte auch sagen: Fußball ist immer ein bisschen mehr Geschäft und Politik, als man vielleicht denken würde.
Sie sind die erste Frau im Präsidium seit der Gründung dieses Klubs. Was bedeutet Ihnen das?
Die Situation kenne ich ja schon (lacht). Ich war schließlich die erste Ministerpräsidentin und erste Bundesratspräsidentin. Als Vizepräsidentin bekomme ich bisher von vielen Seiten positives Feedback.
Was muss geschehen, damit mehr Frauen in Führungspositionen bei Profifußball-Vereinen gelangen?
Es hilft sicher, wenn man auch Fan und sozusagen Teil der Familie ist. Das gilt zumindest für die Traditionsvereine. Es gibt viele gute Frauen, die die erforderlichen Qualifikationen haben, um in immer höhere Positionen zu kommen.
Wie haben Sie reagiert, als Präsident Rainer Bonhof Sie gefragt hat, ob Sie seinen bisherigen Posten übernehmen wollen?
Ich war ehrlich gesagt überrascht, hatte damit nicht gerechnet. Ich habe sofort zugesagt.
Bonhof steht als ehemaliger Spieler mit seinen Erfolgen für die große Gladbacher Ära in den 70er-Jahren. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Ich habe in dieser Zeit Fußball wahnsinnig intensiv erfolgt. Das ist einer der Gründe, warum ich Fan von diesem Verein geworden. Das waren tolle Mannschaften damals mit Günter Netzer, Rainer Bonhof, Berti Vogts, Jupp Heynckes oder Hacki Wimmer. Die Teams prägen Borussia in meinen Augen bis heute.
Auch der Bökelberg ist legendär. Welche Erinnerung haben Sie daran?
Ich habe ja hier eine Ausbildung gemacht in Mönchengladbach in der Bank. Dann hat mich ein Kollege mit ins Stadion genommen, Fan war ich allerdings vorher schon. Den ersten Besuch vergisst man nie.
Seit 2004 ist der Borussia-Park Gladbachs Heimat. Auf diesem Gelände ist infrastrukturell in den vergangenen Jahren einiges entstanden, zum Beispiel das Hotel und das Vereinsmuseum. Wie blicken Sie auf den Park?
Es ist beeindruckend, welchen Weg der Verein genommen hat. Wir können sehr stolz darauf sein, was hier unter der Führung des langjährigen Präsidenten Rolf Königs und früherem Geschäftsführer Stephan Schippers aufgebaut worden ist.
Haben Sie weitere Visionen im Kopf, die hier noch Wirklichkeit werden könnten?
Wir können hier sicherlich noch einiges tun. Für uns ist es wichtig, dass wir nicht stehen bleiben. Wenn einem etwas gehört, muss man es auch gut in Schuss halten. Man muss immer wieder in die Infrastruktur investieren. Gerade im Trainingsbereich der Profis gibt es Überlegungen, aber auch bei den Frauen.
Die Frauen spielen im Februar beim Hamburger SV um den Einzug ins Pokal-Halbfinale und stehen derzeit im Mittelfeld in der 2. Bundesliga. Ist ein Aufstieg möglich?
Die Spielerinnen zeigen bereits, wie gut sie sind. Und auch, wenn es ein ziemlich großer Schritt wäre: Natürlich wäre es großartig, wenn sie sich weiter nach oben kämpfen könnten. Es ist eine Mannschaft mit sehr jungen Spielerinnen, die meisten aus der Region, die großes Potenzial haben. Das alles bereitet mir große Freude.
Die Champions-League-Hymne ist hier zuletzt in der Saison 2020/21 erklungen. Wann wird Gladbach wieder im Europapokal spielen?
Es ist klar erkennbar, dass der Weg wieder nach oben führt. Man sieht, dass es ein Team ist, das funktioniert, in dem alle zusammenarbeiten. Jeder kämpft für den anderen. Wir müssen diesen Weg weitergehen. Dann werden die Erfolge auch kommen.
In der Saison 2019/20, als sich Gladbach für die Königsklasse qualifizierte, spielten noch sieben Klubs aus NRW in der Bundesliga, aktuell sind es aber nur noch vier. Woran liegt das?
Ich bedaure, dass sich einige Traditionsklubs schwertun. Es steht mir jedoch nicht zu, über die Arbeit anderer zu urteilen.
Welche Bedeutung hat Nordrhein-Westfalen noch auf der deutschen Fußball-Landkarte?
Der Fußball ist für NRW immer noch enorm wichtig. Ich habe als Ministerpräsidentin viele Auslandsreisen unternommen. Der Fußball war dort immer der Eisbrecher, wenn ich erzählt habe, welche Klubs aus NRW in der Bundesliga spielen. Dann war das Gespräch gleich auf einer anderen Ebene.
Welche Rolle spielt Tradition im modernen Fußball noch?
Tradition spielt für mich eine große Rolle. Gladbach ist wie eine Familie, das ist ein großer Traditionsverein mit 105.000 Mitgliedern, das ist schon eine Hausnummer. Aber der Weg ist auch hier immer eine Gratwanderung, weil es letztlich auch Business ist. Die Strukturen in den Traditionsklubs und den anderen Klubs sind unterschiedlich, auch die Fan-Kultur ist eine andere.
Die TSG Hoffenheim, am Samstag letzter Gladbacher Gegner dieses Jahres, ist ein Beispiel für einen Klub, der mit viel Geld nach oben gebracht wurde. Was halten Sie davon?
Dort gibt es einen anderen Ansatz, der Klub hat eine andere Geschichte als wir. Das Stadion in Sinsheim kenne ich schon. Es war für mich spannend zu sehen, wie anders es dort ist.
Bedauern Sie es, dass die Romantik im Fußball zunehmend verloren geht?
Man muss Zukunft gestalten und dabei nicht immer nur zurückblicken. Fußball ist ein emotionales Highlight für viele auf der einen Seite, andererseits aber auch ein Geschäft. Beides muss man zusammenbringen. Wir arbeiten hart dafür, dass uns dies in Gladbach gelingt.
Gladbach hat eine ziemlich unglaubliche, kuriose Serie vorzuweisen: Seit nunmehr fast drei Jahren hat Borussia nicht mehr zwei Spiele nacheinander gewonnen. Wäre das nicht ein passender Zeitpunkt vor Weihnachten, diese Serie zu beenden?
Das wäre schön. Ich glaube jedenfalls fest daran, dass sie am Samstag in Sinsheim endet (lacht).
Im nächsten Jahr steht hier ein Vereinsjubiläum an: Borussia Mönchengladbach wird 125 Jahre alt. Was plant der Verein?
Wir haben natürlich einiges im Köcher. Es soll am Jubiläumswochenende in erster Linie ein großes Fest für unsere Fans werden. Es wird bestimmt eine tolle Sache.
Was wünschen Sie sich ansonsten für 2025?
Ich wünsche mir, dass es fußballerisch weiter nach oben geht und dass wir auch irgendwann in die internationalen Plätze zurückkommen. Das schönste Spiel meines Lebens war die Champions-League-Partie bei Celtic Glasgow 2016. Das war von der ganzen Atmosphäre her etwas ganz Besonderes. Ich hatte dabei permanent Gänsehaut. Die hätte ich gerne so noch häufiger.