München. Die erste Bundesliga-Niederlage des FC Bayern hat sich angekündigt. Die Ursachen sind vielschichtig, die Folgen können fatal werden.
Diese Mainzer Machtdemonstration hatte Joshua Kimmich nicht auch noch gebraucht. Als sich Nadiem Amiri unmittelbar nach Schlusspfiff mit geballten Fäusten und aufgerissenem Mund vor ihm aufbaute, reagierte der Anführer des FC Bayern mit einem kräftigen Schubser überaus zornig. Ehe sich ein unnötiges Handgemenge entwickelte, eilten aufmerksame Schlichter aus dem Schiedsrichtergespann herbei. Auch dem 29-Jährigen dämmerte ja schnell, dass seine Gegenwehr zum falschen Zeitpunkt gekommen war. Also ging’s lieber zum mitgereisten Anhang, ehe sich die bedröppelte Entourage nach der ersten Bundesliga-Niederlage beim FSV Mainz (1:2) in die Kabine verzog. Erst einmal Wunden lecken.
Wie konnte es passieren, dass der Liga-Primus gegen den im DFB-Pokal noch klein gehaltenen Karnevalsverein (4:0) anderthalb Monate später gar nichts zu lachen hatte? „Wir haben es nicht geschafft, die Emotionen rauszunehmen und die Kontrolle zu übernehmen. Wenn der Gegner physisch spielt, müssen wir das auch“, sagte der vergeblich im Mittelfeld um die Hoheit ringende Kimmich. Gegen einen giftigen, griffigen Gegner, der wechselweise hoch presste, dann wieder tief stand, fand der Spitzenreiter nie ein Mittel. Selten sah das Bayern-Spiel so umständlich, unsauber und uninspiriert aus.
FC Bayern unterliegt, Sportvorstand Max Eberl sucht keine Ausreden
Ein Doppelschlag des emsigen Jae-Sung Lee (41. und 61.) genügte, um die matten Münchner zu bezwingen, obwohl niemand sollte Sportvorstand Max Eberl mit ersten Symptomen der Erschöpfung kommen sollte: „Wir wollen keine Entschuldigungen und wir suchen sie auch heute nicht. Wir hatten die Qualität, um dieses Spiel zu gewinnen, aber wir haben einfach zu viele Fehler gemacht.“ Mitunter wirkten indes die bajuwarischen Kicker wie bockige Kinder, die sich über zu wenig Geschenke unter dem Weihnachtsbaum beklagen.
Weshalb Kimmich einen lauten Weckruf aufsetzte: „Wir kriegen keinen Sieg geschenkt, das hat man heute gemerkt. Es ist nun ein gefährlicher, aber auch sehr entscheidender Moment in dieser Saison, dass wir jetzt als Mannschaft zusammenstehen.“ Die kürzlich von Vereinspatron Uli Hoeneß bei einem Schweizer Forum verkündete Vorentscheidung im Titelkampf („Was ich zusagen kann, ist die deutsche Meisterschaft“) wird bei nur noch vier Punkten Vorsprung vor Bayer Leverkusen gewiss nicht zum Selbstläufer. „Wir wussten, dass wir weitere Spiele gewinnen müssen, um Meister zu werden“, versuchte Eberl eine vorsichtige Abgrenzung.
Jahresabschluss gegen RB Leipzig: Warnung von Joshua Kimmich
Sollte der Jahreskehraus gegen RB Leipzig am Freitagabend (20.30 Uhr/Sat.1 und DAZN) schiefgehen, könnten es freudlose Festtage werden. „Alle Spieler müssen verinnerlichen, dass wir das letzte Spiel am Freitag unbedingt gewinnen müssen“, ermahnte Kimmich die Kollegen und merkte mit Blick auf weitere Nackenschläge in Champions League und Pokal an. „Wir sehen schon, dass wir jetzt vier Niederlagen haben.“ Wortführer Thomas Müller benannte ganz ähnliche Mängel wie der Nationalmannschaftskapitän: „Mainz hat uns in Dinge verwickelt, die sie gut können. Diese zweiten Bälle, immer wieder kleine Fouls, immer wieder Zweikämpfe. Aus einen Mann-gegen-Mann-Pressing rauszukombinieren ist dann auf so einem Dezember-Fußballplatz nicht ganz so einfach.“ Der 35-Jährige wirkte damit übrigens auch arg überfordert.
Über Alternativen verfügte Trainer Vincent Kompany nur noch begrenzt. Die bayrischen Akkus sind weitgehend leer, so dass der Belgier bloß konstatieren konnte: „Es war vielleicht nicht die beste Leistung, individuell und kollektiv. Wir haben gekämpft, aber wir waren nicht auf unserem Level.“ Eine Niederlage aber könne auch in der Liga immer passieren, „das ist Fußball“, meinte der 38-Jährige fatalistisch, der am Sonntag immerhin wieder gut gelaunt einen Fanklub im Landkreis Traunstein besuchte.
Zugänge im Winter? „Bayern ist auch kein Geldscheißer“
In der Vorweihnachtszeit hängt sein Ensemble zu sehr am Tropf zweier Individualisten. Fehlt Torjäger Harry Kane, dann verändert sich die gesamte Statik, weil der instinktsichere Zielspieler fehlt. Ein Zukauf wird auch im Winter nicht erwogen, wie Eberl erneut klarmachte. „Wie sagt man‘s so schön: Bayern ist auch kein Geldscheißer.“ Rekordbilanz hin oder her: Unsummen für einen zweiten Top-Torjäger will und wird der Klub nicht ausgeben, zumal Kane ja vielleicht schon am Freitag zurückkehrt. Und weil auch Jamal Musiala am Samstag erst viele Bälle, dann zusehends die Lust verlor, kamen die Bayern so bieder wie ihre Auswärtsjerseys rüber. Selbst nach dem Zufallstor des auffällig oft hadernden Leroy Sané (87.) blieb das Aufbäumen aus. Wirklicher Widerstand brandete in Person von Joshua Kimmich erst auf, als das ernüchternde Resultat schon von der Anzeigetafel strahlte.