Barcelona. Der FC Barcelona entwickelt wieder seine Talente selbst. Gegen den BVB wird wohl die Hälfte aus dem eigenen Nachwuchs kommen.

Der FC Barcelona kommt mit konjunkturellen Zweifeln nach Dortmund. In der Liga gab es am Wochenende ein 2:2 bei Betis Sevilla, zum vierten Mal in den letzten fünf Spielen ließ der Noch-Tabellenführer damit Punkte liegen. Trainer Hansi Flick schimpfte sich zu einem Platzverweis, Rechtsaußen Lamine Yamal starrte deprimiert ins Leere. Er hatte kurz vor Schluss traumhaft das 2:1 aufgelegt, seine zehnte Torvorlage der Saison, aber dann miterleben müssen, wie erneut der Ausgleich fiel.

Für Yamal war Betis ein besonderer Rivale, denn gegen die Andalusier hatte er einst für Barças erste Mannschaft debütiert. Erst anderthalb Jahre ist es her. Damals war er 15. Jetzt ist er 17, Europameister und angehender Superstar, zuletzt wurde er mit der „Kopa“-Trophäe und dem „Golden Boy“ ausgezeichnet, den wichtigsten Preisen für Spieler bis 21. In seinem seit kurzem 125-jährigen Klub ist Yamal trotz Angriffskollegen wie Raphinha und Robert Lewandowski schon der wichtigste Unterschiedsspieler – und das schillerndste Gesicht einer spektakulären Talentrevolution.

FC Barcelona: Die Talente sprießen wie Unkraut

Konjunkturell mag es Zweifel geben bei Barça, doch die Grundlage ist ganz klar: La Masia. So heißt die Nachwuchsakademie des Vereins. Mehr als die Hälfte der in Dortmund zu erwartenden Startelf wurde dort ausgebildet. Neben Lamine, der schon mit sieben zum Klub kam, auch Torwart Iñaki Peña, 25, der den langzeitverletzten Marc-André ter Stegen vertritt, die Verteidiger Pau Cubarsí, 17, und Alejandro Balde, 21, sowie Abräumer Marc Casadó, 21 und Rückkehrer Dani Olmo, der bis 16 in der Barça-Jugend kickte. Um einen Platz im Zentrum konkurrieren außerdem Pedri, der mit 17 zum Klub kam, sowie die Eigengewächse Gavi, 20, wiedergenesen von einem Kreuzbandriss, und Fermín López, 21. Insgesamt stehen 16 La-Masia-Spieler im 28-Mann-Kader.

Dani Olmo wurde beim FC Barcelona ausgebildet, bevor er bei anderen Klubs reifte. Unter Hansi Flick kehrte er nach Katalonien zurück.
Dani Olmo wurde beim FC Barcelona ausgebildet, bevor er bei anderen Klubs reifte. Unter Hansi Flick kehrte er nach Katalonien zurück. © firo Sportphoto/dppi | DPPI

Diese Fülle ist nicht nur quantitativ einmalig, sondern auch qualitativ: Vor Yamal gewannen schon Pedri (2021) und Gavi (2022) bereits im Teenageralter die Kopa-Trophäe und den Golden Boy. So wie Yamal und Olmo für den EM-Titel, waren Cubarsí und Fermín zentral für Spaniens Olympiasieg, und wie sie alle sind auch Balde und Casadó bereits Nationalspieler. Dabei rückte letzterer erst diese Saison in Barças A-Kader auf und nur dadurch in die Stammelf, dass sich Positionskollege Marc Bernal das Kreuzband riss – ein 17-jähriger, den Flick ebenfalls im Nachwuchs entdeckt hatte.

„Die Masia ist ein Schatz“, sagt der deutsche Ex-Nationaltrainer. Seit dem ersten Tag in Barcelona war er von nichts so begeistert wie vom Level der Junioren. Als er zum Arbeitsantritt seine erste Trainingssession mit ihnen auffüllte, staunte er danach: „Danke an die Masia. Wie sie dort Spieler entwickeln, ist unglaublich.“ Er habe, so Flick, keinen Niveauabfall zu gestandenen Profis feststellen können.

FC Barcelona: Fußballschule seit Johann Cruyff

Auch beim heutigen Gegner ist man sehr angetan: Der BVB will sich die Masia zum Vorbild nehmen, wie Nachwuchschef Thomas Broich kürzlich erklärte. Einfach zu übertragen sein wird das Modell jedoch nicht, denn die Masia ist ein Mythos mit jahrzehntealtem Fundament. Seit Johan Cruyff die niederländische Fußballschule in den Klub brachte, werden schon die Kindermannschaften einheitlich auf Ballbesitz- und Passfußball trainiert, ab dem Wechsel auf das große Feld im 4-3-3-System. Der Ausbildungsschwerpunkt auf den technischen Fähigkeiten und der kollektiven Spielintelligenz garantiert eine reibungslose Eingewöhnung in die erste Mannschaft, die denselben Stil pflegt – und hilft wohl auch, die abenteuerliche Frühreife eines Abwehrchefs Cubarsí zu erklären; oder eines Yamal, der neben seiner individuellen Klasse bereits das Passrepertoire eines etablierten Spielmachers aufweist.

Legende in Barcelona: Xavi. Er durchlief La Masia, wurde Profi und sogar Trainer des FCB.
Legende in Barcelona: Xavi. Er durchlief La Masia, wurde Profi und sogar Trainer des FCB. © Getty Images | David Ramos

Wenn Dortmund beim FC Barcelona spicken will, dürften zu den Transferzielen die Stringenz in der Methode gehören, die hohe Kompetenz der Ausbilder und das geschulte Auge von Scouts, die schon jüngste Talente nach spezifischen Kriterien prüfen. Sowie die Ambition, nicht nur Fußballer zu formen, sondern auch Menschen. Lamine Yamal mag mehr Schalk mitbringen und Casadó härter in Zweikämpfe gehen als einst die ultrabraven Masia-Stars Xavi, Iniesta oder Lionel Messi – aber auch die heutige Generation strahlt Bodenständigkeit, Demut und Loyalität aus.

All das heißt nicht, dass in der Masia immer nur alles glänzt. Nach einer Fifa-Strafe wegen Transfers minderjähriger Nicht-EU-Ausländer gab es zwischen Messi und Gavi auch mal eine verlorene Generation. Doch als nach Barças Finanzcrash der Blick auf die Jugend zum Imperativ wurde, waren wieder Top-Jahrgänge am Start. „Wahrscheinlich ist die Masia in ihrem besten Moment“, sagte schon Flicks Vorgänger Xavi.