Turin. Wieder Taylor Fritz, wieder eine Pleite: Das Tennisjahr 2024 ist für Alex Zverev gezeichnet von einer Ergebniskrise bei Höhepunkten.
Am Ende war es so wie immer in dieser merkwürdigen Saison. Alexander Zverev war in einem großen Spiel auf Augenhöhe mit seinem Gegner. Aber erst verlor er die entscheidenden Punkte und dann das ganze Match. „Am Ende habe ich es vergeigt“, sagte Zverev nach seinem 3:6, 6:3, 6:7 (3:7) im Halbfinale der Tennis-WM gegen den Amerikaner Taylor Fritz. Das letzte Saisonspiel war wie eine garstige Zusammenfassung des Tennisjahres 2024, in dem der 27 Jahre alte Hamburger seinen Hoffnungen und Möglichkeiten hinterherhinkte und zusehen musste, wie erneut andere Stars ihm die schönsten Trophäen vor der Nase wegstahlen. „Diese Niederlage wird mehr wehtun“, sagte Zverev, der schnell nach dem WM-Aus vom Centre Court des Turiner Pali Alpitour geflüchtet war. Plötzlich, am frühen Samstagabend, war der Deutsche in die Ferien entlassen, 24 Stunden zu früh – vor dem Finalmatch.
Alexander Zverev: Überragende Fähigkeiten, aber nur zwei Turniersiege in 2024
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Jannik Sinner und Carlos Alcaraz seien der „Maßstab“, an dem er sich 2025 orientieren wolle, also an den jungen, neuen Grand-Slam-Champions, hatte Zverev in den vergangenen WM-Tagen gesagt. Doch seine Nemesis, der Mann, der ihn gerade aufs immer Neue wie mit einem Centre-Court-Fluch überzieht, ist eben jener Kalifornier Fritz. Einer, der neben Südtirols Wunderbursche Sinner die eindrucksvollsten Aufstiegsspuren in der laufenden Spielzeit zog. Nach vier herben Niederlagen in Serie hat sich der unscheinbare Ami tatsächlich als Angstgegner Zverevs etabliert, mit dem für den Weltranglisten-Zweiten enttäuschenden Schlusspunkt bei der ATP-WM. Nach drei beinahe leichten Gruppensiegen war Fritz wieder die letzte Instanz für Zverev, der sich in der Partie „leerer und nicht so energiegeladen“ fühlte.
Zverevs Niederlage auf dem Turiner Centre Court war jenseits der Rivalität mit Fritz alles andere als ein isoliertes Ereignis – ein Fall von Pech, eine Ungnade des Schicksals. Das Scheitern des Hamburgers hatte 2024 eben wiederkehrende Muster, folgte verdrießlichen Gesetzmäßigkeiten. Ganz banal gesagt: In den Spitzenmatches spielte Zverev ordentlich bis gut, erkämpfte sich oft sogar Vorsprünge, er führte zuweilen nach diesen Spielen sogar in vielen Statistiken. Aber er machte nicht die richtigen Punkte zur richtigen Zeit, die Duelle auf diesem Niveau drehen können und die eigene Macht festigen.
Als gegen Fritz am Ende eines 144 Minuten währenden Fights abgerechnet war, hatten beide Spieler jeweils 94 Punkte und 15 Spiele gewonnen. Zverev schlug sogar mehr Winner, leistete sich weniger vermeidbare Fehler. Aber in dem Drama, das in einem Tiebreak des dritten Aktes seinen Spannungs-Höhepunkt erlebte, machte Zverev eben nur drei der letzten zehn Punkte und schüttelte über Fehlschläge selbst den Kopf. Er wusste, dass es nur der letzte missliche Knockout mit diesem Drehbuch war – und auch eine Neuauflage des Frusts und Ärgers gegen den grundsoliden Amerikaner.
Alexander Zverevs Schwäche ist immer wieder der Tiebreak
Zverevs 69 Siege in 90 Saisonspielen sind eine bemerkenswerte Bilanz. Aber mit zwei Turniersiegen in Rom und Paris (Indoor) auf Masters-Niveau und zwei Finalteilnahmen (Hamburg, French Open) kann er nicht zufrieden sein. Immer wieder scheiterte er in Tiebreak-Krimis, dieser nervenzehrenden Zuspitzung – mehr an sich als den Gegnern. „Ich habe einige fantastische Spiele gehabt. Aber auch zu viele unnötige Niederlagen. Die bleiben im Gedächtnis“, sagte Zverev. Bei den Australian Open verspielte Zverev zu Jahresbeginn eine 2:0-Halbfinalführung gegen den Russen Medwedew durch zwei verlorene Tiebreaks, in Wimbledon kassierte er bei einem 2:1-Satzvorsprung im Achtelfinale den Ausgleich wieder durch ein verlorenes Tiebreak-Roulette gegen Fritz. Als Fritz ihn auch bei den US Open ausschaltete, nun im Viertelfinale, waren es zwei gewonnene Tiebreaks des Amerikaners, die Zverevs Heimreise maßgeblich bewirkten.
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Die Ergebniskrise hängt auch mit Zverevs fehlendem Instinkt und Zutrauen für ein gewinnbringendes Offensivspiel zusammen. Trotz seiner überragenden Physis und imponierenden Aufschlagstärke traut er sich zu selten, mit Sturm und Drang Gegner zu überraschen. Oft wirkt er bei seinen Netzattacken verloren, oft kommt er aber auch gar nicht dazu, weil er sich weit hinter der Grundlinie aufhält. Sein Spiel kostet viel Kraft, Energie und Substanz, was Schwierigkeiten gerade auf der Zielgeraden der zweiwöchigen Grand Slam-Herausforderungen erzeugt. Verzagen ist Zverevs Sache aber nicht: „Ich werde alles tun, um nächstes Jahr wieder in eine Position zu kommen, um große Titel zu gewinnen“, sagte er. Und verabschiedete sich in den Urlaub.