Turin. Alexander Zverev und Kollegen sind beim großen Saisonabschluss ATP-Finale entweder müde oder angeschlagen. Die Tour frisst ihre Stars.

Es war ein wenig paradox, dass Alexander Zverev die Malaise ausgerechnet bei einem Schaukampf ansprach, beim Laver Cup, dem sogenannten Wettstreit zwischen Europa und dem Rest der Welt. Aber richtig war sein kritischer Befund dennoch im September in Berlin, die Aussage, „dass es im Tennis die längste Saison gibt, eine unnötig lange Saison“. 

Zverev, die Nummer zwei der Welt, hat beinahe 90 Wettkampfmatches in der Spielzeit 2024 bestritten. Und wie für alle anderen Superstars der Branche ist es auch nach zehneinhalb Monaten Hetzjagd durch die Zeitzonen und über Kontinente hinweg noch längst nicht vorbei. Zverev spielt derzeit bei den ATP-Finals in Turin, zusammen mit den anderen sieben Saisonbesten. Und für einige der Cracks geht es sogar noch weiter – zum Davis-Cup-Finale nach Malaga, wo dann auch einer der Größten, Rafael Nadal, verabschiedet werden soll. 

Zverev über den Tenniszirkus: „Wie ein Hamster in der Tretmühle“

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Zverev wird nicht in Spanien antreten, es ist eine der wenigen Verzichtsübungen des 27 Jahre alten Hamburgers, der sich „manchmal wie ein Hamster in der Tretmühle“ der Tennistour fühlt. Ein gewisses Maß an Heuchelei ist bei vielen Größen der Szene zwar durchaus vorhanden, schließlich legen viele auch gern mal einen Stopp bei hochdotierten sogenannten Exhibitions ein: wertlose Schauevents wie jüngst dem Six Kings Slam in Riad. Aber unbestritten bleibt: Die Spielserie der Herrenprofis ist in einer Zeit wachsender Konkurrenz und größerer Ausgeglichenheit im Circuit maßlos überfrachtet.  

Statt klarer Ordnung und Verschlankung des Programms wachsen ständig die Herausforderungen. „Wir reparieren, was vorher gar nicht kaputt war“, gab jüngst der Grieche Stefanos Tsitsipas zu Protokoll. Er spielte damit auf die aufgeblähten Masters-1000-Turniere an, die an einer Mehrzahl der Standorte inzwischen über zwei Wochen ausgespielt werden. In der Konsequenz bedeute das, so Tsitsipas: „Noch weniger Zeit für Erholung zwischen Wettbewerben, auch weniger Zeit, um sinnvolle Trainingsarbeit zu leisten.“ 

Weltmeisterschaften am Saisonschluss: Ausgezehrt von der Tour

Die Klagen über das Mammutpensum in einem Tennisjahr sind nicht neu – und die Misere wird gerade zum Saisonschluss bei den Leuchtturm-Turnieren sowohl im Herren- wie Frauentennis stets deutlich. Zu den inoffiziellen Weltmeisterschaften – den WTA- wie ATP-Finals – kommen die Stars praktisch am Stock, ausgezehrt von den wilden Reisen quer durchs Touruniversum. So müssen alle nach der amerikanischen Sommersaison hinüber zum ungeliebten herbstlichen Asien-Swing, bevor es noch einmal unter europäische Hallendächer geht.  

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Gerade die Hartplatz- und Indoor-Turniere hinterlassen dabei körperlich Spuren, zudem klagen viele Asse über den ständigen Wechsel der Bälle bei den Wettbewerben. „Es gibt kaum jemanden, der nicht über Problemchen an der Schlaghand oder am Ellenbogen klagt“, sagt ein europäischer Turnierdirektor, „immer mehr Spieler werden immer häufiger behandelt.“ Und viele steigen eben auch aus dem laufenden Turniergeschehen aus, verletzt und abgeschlagen. 

Rafael Nadal: Raubbau am eigenen Körper

Gerade die Besten der Besten stehen unter Dauerstress. Sie spielen meist bei ihren Turnierengagements bis in die heiße Phase der Pokalvergabe mit, sehen sich pausenlos von der Meute bedrängt. 19 Turniere sollen sie verpflichtend bestreiten, immer unter höchstem Druck, Hatz und Belastung als Dauerzustand. Wer, wie einst Nadal, über ein anspruchsvolles, physisch belastendes Spiel verfügt, kommt am Ende der Saison zu den Events gekrochen. Der Matador trat, keineswegs überraschend, kaum einmal gesund bei der WM an, gab mehrmals im Turnier auf.  

Carlos Alcaraz schleppt sich bei den ATP-Finals in Turin über den Centre Court, braucht jede Pause zur Erholung.
Carlos Alcaraz schleppt sich bei den ATP-Finals in Turin über den Centre Court, braucht jede Pause zur Erholung. © AFP | MARCO BERTORELLO

Auch sein Erbe, Himmelsstürmer Carlos Alcaraz, scheint schon diesem Muster zu folgen – einem beeindruckenden Saisonstart folgt wegen körperlichen Schwierigkeiten eine zweite, schwächere Jahreshälfte. Nach dem Wimbledon-Coup konnte Alcaraz nur noch zwei Mal überzeugen, als Olympia-Finalist und Sieger in Peking. In Turin schleppte er sich mit einem Infekt über den Centre Court. Auch der Weltranglisten-Vierte Daniil Medwedew wirkte zunächst wie ein Schatten seiner selbst, bei der Auftaktniederlage gegen den Amerikaner Taylor Fritz leistete er im zweiten Satz nur noch Dienst nach Vorschrift, ging sang- und klanglos unter. Anschließend beklagte er eine „mentale Müdigkeit“.

Tennis: Alle Reformversuche scheiterten kläglich

In der zersplitterten, zerstrittenen Tenniswelt will niemand zurückstecken. Alle Reformversuche, das Programm auszudünnen, scheiterten mehr oder minder kläglich. So geht es immer weiter mit dem Verschleißbetrieb: 33 Tage nach der Kür des Davis-Cup-Siegers in Malaga beginnt am 27. Dezember in Australien der nächste Teamwettbewerb der schon neuen Saison – der United Cup.