Barcelona. Die 1:4-Niederlage bei Flicks Barcelona verschärft die Debatte über den Risikostil des FC Bayern. Die Zwischentöne werden nachdenklicher.

Viele Bilder werden bleiben von diesem denkwürdigen Mittwochabend in Barcelonas Olympiastadion. Wie jene von Hansi Flick, der nach dem Abpfiff so ziemlich jeden Spieler des FC Bayern abklatschte und mit Umarmungen teils innig herzte, als bejubele er mit seiner Mannschaft einen großen Sieg. Doch anders als vor gut vier Jahren beim legendendären 8:2-Triumph mit den Münchenern über Barça auf dem Weg zum Champions-League-Titel hatte Flick zwar auch jetzt klar gewonnen, doch diesmal eben mit seiner neuen Mannschaft des FC Barcelona gegen die Bayern.

Durch das 4:1 (3:1) war ihm nach Zahlen exakt ein halbes 8:2 gelungen, was sich für all jene, die es mit Barça halten, offensichtlich nach deutlich mehr anfühlte als nur nach einer halben Rehabilitation. Zurück blieben diesmal arg zerzauste Bayern, die am Donnerstag zwar ohne Punkte, dafür aber mit einem Lernauftrag und auch einigen Grundsatzfragen in den Rollkoffern ihre Rückreise gen München antraten. Zumal die direkte Qualifikation fürs Achtelfinale nach der zweiten Niederlage im dritten Spiel der Champions League akut in Gefahr gerät und auch die Zwischenbilanz aus den jüngsten fünf Härtetests gegen Leverkusen (1:1), Aston Villa (0:1), Frankfurt (3:3), Stuttgart (4:0) und Barcelona (1:4) mit nur einem Sieg, je zwei Remis und zwei Niederlagen sowie 9:9-Toren nicht den Ansprüchen des FC Bayern gerecht wird.

FC Bayern: In Schlüsselmomenten war Barca besser

„Keine Sorgen“, sagte Sportvorstand Max Eberl dennoch, mache er sich wegen Tabellenplatz 23 in der Champions League, „das ist genau dieser neue Modus, der entscheidet sich erst am achten Spieltag, nicht am dritten.“ Dennoch müsse nun ein „Learning“ stattfinden, „das ist genau das, was wir brauchen“. Auf Kritik an den Innenverteidigern Dayot Upamecano und Min-jae Kim reagierte Eberl nachvollziehbar allergisch, weil beide meist nur am Ende einer Fehlerkette ausbaden müssen, was zuvor schief läuft.

Barcelona-Trainer Hansi Flick (links) und Bayern-Coach Vincent Kompany.
Barcelona-Trainer Hansi Flick (links) und Bayern-Coach Vincent Kompany. © Sebastian El-Saqqa / firo Sportphoto | Sebastian El-Saqqa

Dass das womöglich auch deshalb immer wieder passiert, weil die Bayern so viele Risiken eingehen mit ihrem Draufgängerstil, wollte Eberl jedoch nicht bestätigen. Es seien Fehler passiert, das schon, aber an der grundsätzlichen Überzeugung änderte das nichts. „Wir verteidigen das, was wir tun, weil wir davon überzeugt sind“, sagte Eberl. Das gilt selbstredend auch für Vincent Kompany. Man habe nicht alles richtig gemacht, räumte der Trainer ein. „Wir müssen lernen aus diesem Spiel, damit wir besser werden. Und das wird auch passieren“, versprach er, „in den Schlüsselmomenten war Barcelona sehr gut und wir nicht gut genug.“

FC Bayern: Kimmich spricht von Harakiri

Ob und inwieweit beim FC Bayern nun ein Umdenken einsetzt und Kompanys Stil nach einer Risikoabwägung modifiziert wird, muss sich zeigen. Grundsätzlich sind die Münchener von der sehr offensiven Ausrichtung mit der meist extrem hochstehenden Defensive weiterhin überzeugt. Doch zumindest manche Zwischentöne klingen inzwischen nachdenklicher. Wie bei Kapitän Manuel Neuer. „Wir haben sehr risikoreich gespielt“, sagte der Torwart, „die Bälle hinter die Kette können uns halt weh tun.“ Joshua Kimmich fiel während seiner Ausführungen selbst auf, dass der Ertrag teils im Widerspruch steht zum Empfinden.

„Der Weg, auf dem wir uns befinden, der fühlt sich für uns sehr, sehr richtig an“, sagte Kimmich, alternativlos sei er jedoch nicht. „Natürlich waren die Resultate nicht immer perfekt. Aber trotzdem waren die Spiele so, dass man sagt, die Spielweise gibt uns Recht.“ Man habe in den vergangenen zehn Spielen ja wenig Torchancen zugelassen. Aber klar, bemerkte Kimmich, „du kriegst vier Eier, da ist es schwierig, so zu argumentieren.“ Überliefert wurde von Kimmich sogar die Aussage, es sei „teilweise Harakiri“ gespielt worden. Doch es war nicht eindeutig, ob er sich damit auf die eigene Mannschaft oder die von Barcelona bezog. Ganz falsch war der Befund in beiden Fällen nicht.

Raphina und Lewandowski nehmen Bayern auseinander

Denn beide Teams hatten Phasen, in denen ihre extrem hochstehende Abwehr einer Einladung zu Kontern gleichkam. Barcelona nahm diese mehrfach an und kam bei allen Toren des überragenden Raphinha (1./45./56.) sowie des ehemaligen Bayern-Stürmers Robert Lewandowski (36.) nach Gegenstößen oder Tempoangriffen zum Erfolg. Für die Bayern hatte Harry Kane den sehr frühen Rückstand zwar bald ausgeglichen (18.) und eine Phase eingeleitet, in der die Bayern überlegen agierten. Doch Flicks Barcelona passte sich an, entzog sich zunehmend dem Pressing der Münchener und sezierte deren Abwehr mit Diagonalpässen.

Raphinha (links) und Ex-Bayernstürmer Robert Lewandowski feiern den Sieg mit Barcelona gegen Bayern.
Raphinha (links) und Ex-Bayernstürmer Robert Lewandowski feiern den Sieg mit Barcelona gegen Bayern. © AFP | JOSEP LAGO

Es war ein Muster mit Wiedererkennungswert über dieses eine Spiel hinaus, weshalb die Bayern wohl kaum um die Grundsatzdebatte herumkommen, wie viel Risiko sie sich zumuten sollten, wenn sie Titel gewinnen oder zumindest das Finale der Champions League in der eigenen Arena erreichen wollen. Und wie viel Risiko verträgt eigentlich ein K.o.-Spiel in Mainz im DFB-Pokal am kommenden Mittwoch nach der unangenehmen Ligaaufgabe in Bochum am Sonntag? Die Gegner bekommen immer mehr Anschauungsunterricht, wie die sehr hochstehende Defensive ausgehebelt werden kann. Zumindest so viel steht fest: Die Bayern hatten auf der Rückreise aus Barcelona auch ohne Punkte mehr im Gepäck als auf dem Hinweg.