Hamburg. Der Aufsteiger aus Hamburg musste seit dem Aufstieg Rückschläge verkraften. Wie sie auf dem Kiez trotzdem damit fertigwerden wollen.
Es war Mitte Mai in Hamburg, als zusammenkam, was eigentlich nicht mehr so recht zusammengehören will: der Hamburger SV und die Bundesliga. Noch dazu im Millerntor-Stadion. In der Stunde des größten Triumphs der jüngeren Vereinsgeschichte schwirrte den Verantwortlichen des FC St. Pauli erstmal der Stadtrivale durch die Köpfe. Den Aufstieg in der Tasche, die Zweitliga-Meisterschaft vor Augen, sollte noch einmal daran erinnert werden, wer Deutschlands zweitgrößte Stadt künftig in der Ersten Liga vertritt.
Frotzeleien, die einem Underdog zu verzeihen sind. Aber auch ein Vorgeschmack auf das, was die Bundesliga nun erwartete. Ein unkonventioneller Klub, mitunter ein bisschen nervig, immer mit klarer Kante, insbesondere wenn es um gesellschaftliche und politische Themen geht. Am Freitag (20.30 Uhr/DAZN) gastiert dieser Verein bei Borussia Dortmund. Die Paulianer haben sich stabilisiert, allerdings fällt ihr bester Spieler verletzt aus: Elias Saad.
FC St. Pauli: Nach Aufstieg Umbruch
Leicht wird die Aufgabe für den BVB trotzdem nicht. In der Pauli-Elf schlummert Potenzial, in der vergangenen Saison hat sie sogar einen verdammt guten Fußball gespielt. St. Pauli pflügte durchs Unterhaus, stieg hochverdient auf und feierte ausgiebig. Und dann: der große Dämpfer. Erfolgstrainer Fabian Hürzeler weg, Topscorer Marcel Hartel weg. Die widerspenstigen Braun-Weißen mussten sich den Gegebenheiten des Profifußballs beugen.
In Person von Alexander Blessin fand man schnell kompetenten Ersatz. Sportchef Andreas Bornemann, der Architekt des Erfolgs, musste jedoch trotz aller Einnahmen zurückhaltend haushalten. St. Pauli wirtschaftet, was ja sonst gar nicht zum Image passt, vergleichsweise konservativ. Für nur rund 1,8 Millionen Euro wurden eher Transfers für die Tiefe und mit Potenzial getätigt.
Systemdebatte bestimmt die ersten Saisonwochen in Hamburg
Blessin stellte das von Beginn an vor eine Herausforderung. Zunächst musste der 51-Jährige mit einer Systemdebatte zurechtkommen, die die ersten Spieltage bestimmte. Der neue Coach agierte vornehmlich im von ihm präferierten 3-5-2, mit dem Resultat, dass für die beiden dynamischen Außenspieler Elias Saad und Oladapo Afolayan zunächst kein Platz in der Startelf war.
Der in seinem Ansatz pragmatische Trainer wechselte zeitweise zwar binnen einer Partie auf das in Zweitligazeiten dominante 3-4-3 – was das Geschehen auf dem Feld zumeist verbesserte, die Dauerdiskussion damit zugleich aber verschlimmerte. Wie kann man bloß zwei der individuell besten Akteure nicht von Beginn an bringen?
Unterschiedsspieler Elias Saad fehlt den Kiezkickern
Die Antwort: gar nicht. Mit der Begegnung gegen RB Leipzig (0:0) änderten die Hamburger ihre Formation, Saad und Afolayan waren die überragenden Protagonisten beim folgenden 3:0 auswärts gegen den SC Freiburg. Das Problem schien gelöst, ehe Saad vom Mainzer Edelgrätscher Dominik Kohr beim 0:3 für mindestens zwei Monate ins Krankenlager getreten wurde.
Das Fehlen des Unterschiedsspielers wiegt schwer. Aufgefangen werden kann es nur im Kollektiv, basierend auf einer soliden Defensive. Die bildete auch das Fundament der ersten sechs Spieltage. Die Ausbeute von nur vier Punkten darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass St. Pauli eine der besseren Verteidigungen der Bundesliga stellt.
St. Pauli will mit Genossenschaft Millionen einnehmen
Vorne dagegen lahmt die Offensive, die Abschlussquote ist noch nicht erstligareif. Panik kommt über all dem jedoch nicht auf. Im Verein ist man sich der vergleichsweise geringen Möglichkeiten bewusst. Präsident Oke Göttlich bleibt bei seinem Credo, St. Pauli bis auf Weiteres unter den Top 25 Deutschlands platzieren zu wollen.
Das Weitere soll dann in Form innovativer Einnahmequellen umgesetzt werden. Stichwort Genossenschaft. Der Klub will sein Stadion teilweise an seine Fans veräußern, hofft auf bis zu 30 Millionen Euro. Die Strahlkraft der Marke ist bereits jetzt enorm, die Fans zählen zu den enthusiastischsten der Republik. Das Potenzial, sich mittelfristig erstklassig zu etablieren, ist vorhanden.
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Kurzfristig muss sich das Team um Kapitän Jackson Irvine, einem besonderen Fußballer und Menschen, um den Klassenerhalt bemühen. Angesichts schwächelnder Konkurrenz des VfL Bochum und von Holstein Kiel kann der gelingen. Ein realistisches Szenario ist Relegationsplatz 16 – und damit im kommenden Mai ein durchaus wahrscheinliches Wiedersehen in den Auf- und Abstiegsspielen mit dem HSV.