New York. Das US-Herrentennis befindet sich im Aufwärtstrend. Alexander Zverev könnte aber nun in New York amerikanische Träume zerstören.
Wenn es in diesem Tennisjahr auf die Zielgeraden eines Grand Slam-Spektakels ging, wurde es einem mit Alexander Zverev niemals langweilig. In Melbourne versenkte der 27-jährige Hamburger zu Saisonbeginn einen 2:0-Satzvorsprung im Halbfinale gegen den Russen Daniil Medwedew. Bei den French Open kam es noch schlimmer, im nervenzehrenden Endspiel gegen Matador Carlos Alcaraz ging die Titelchance für den deutschen Frontmann nach einer 2:1-Satzführung flöten. Schließlich Wimbledon, das Achtelfinale: Zverev lag nach den ersten beiden Viertelfinal-Akten 2:0 in Front gegen US-Boy Taylor Fritz, um wieder mitansehen zu müssen, wie sein Gegner das Match umbog und über die volle Distanz gewann. Manchmal habe er den Eindruck, dass ein Pokalsieg bei einem Major-Turnier „irgendwie nicht für einen gedacht ist“, gab Zverev damals im All England Club verbittert und konsterniert zu Protokoll.
Nun ist Zverev aber wieder in der heißen Phase von Grand Slam-Festspielen dabei, in der Runde der letzten Acht bei den Offenen Amerikanischen Meisterschaften 2024 in New York – und nach diversen Favoritenstürzen und Aufregern rund um die Konkurrenz stellt sich die Frage: Was wird mit und um Zverev passieren, diesem Unermüdlichen und bisher Unvollendeten bei den Major-Wettbewerben, dem Mann, der bisher 34 Mal vergeblich einer der vier großen Trophäen nachgejagt ist.
Zverev demoralisiert Nakashima
„Ich bin glücklich mit meinem Tennis, mit dem Niveau, das ich gerade auf den Court bringe“, sagte der Tokio-Goldmedaillengewinner nach seinem 3:6, 6:1, 6:2, 6:2-Sieg gegen den Amerikaner Brandon Nakashima am Sonntagabend, bei dem er nicht nur seinen Gegner am Ende demoralisierte, sondern ganz nebenbei auch eine kuriose Attacke von Riesenzikaden abwehrte. Es war an Tag sieben der US Open nicht nur eine sportliche Status quo-Beschreibung, es klang auch so, als wolle Zverev klar machen, dass er die Frustrationen und Horrormomente dieser Spielserie hinter sich gelassen habe. Ganz nach dem Motto: Was war, ist vorbei. Was kommt, ist entscheidend.
Wobei: Der Ärger der Vergangenheit wird ihm in Person von Fritz am Dienstag gegenüberstehen, endlich dann im Arthur Ashe-Palast, den Zverev bisher nur von außen gesehen hat. Zverev, die Nummer 4 der Welt und nach dem Turnier wieder die Nummer 2, spielte im Bewusstsein der Amerikaner bisher nur eine Nebenrolle, einmal trat er auf dem Grandstand Court an, drei Mal im Louis Armstrong Stadium. Der Hamburger Schlaks könnte allerdings jetzt, wo die schrillen Tennis-Festivitäten im Big Apple so richtig Fahrt aufnehmen, zum großen Spielverderber amerikanischer Träume in der Ashe-Arena werden. Denn sollte Zverev die Hürde Fritz meistern, könnte er im Halbfinale auf einen weiteren Amerikaner treffen, den spektakulären Kämpfer Frances Tiafoe.
Dürreperioden für die US-Spieler
Die geballte Präsenz einheimischer Stars im fortgeschrittenen Grand Slam-Stadium unterstreicht den Aufwärtstrend, den das US-Herrentennis nach vielen Jahren der Enttäuschungen und Fehlschlägen genommen hat. 2002 hatte Pete Sampras im Titanen-Duell gegen Andre Agassi den New York-Titel noch einmal gewonnen, danach trat der fünfmalige US Open-Champion zurück. Ein Jahr später schien es mit dem Triumph von Andy Roddick so, als könne der nassforsche Bursche aus Abraska den Staffelstab der Goldenen Generation übernehmen. Doch Roddicks Sieg blieb bis heute der letzte Major-Coup für die Sternenbanner-Truppe, es folgten lange Dürreperioden, in denen die Amerikaner nur noch Statisten im großen Tour-Theater waren.
Aktuell steht zwar kein US-Profi in den Top Ten, doch die Leistungsdichte in der Weltspitze ist imponierend: Angeführt von Zverev-Gegner Fritz (ATP 12) sind fünf Amerikaner in den Top 20 eingestuft, acht in den Top 50. Vier erreichten bei diesen US Open das Achtelfinale, mit Fritz und Tiafoe stehen bereits zwei unter den letzten Acht. Tommy Paul (ATP 14) kämpft in der Nacht zum Dienstag gegen Nummer eins-Mann Jannik Sinner um einen weiteren Viertelfinalplatz für die wiedererstarkte Gastgebernation. „Wir sind wieder bei der Musik dabei“, sagt Jim Courier, einer der Akteure aus der Goldenen Generation mit Sampras, Agassi, Chang und Co.
Es werde ein „harter Kampf“ gegen Fritz, befand Zverev: „Alles ist möglich. Aber ich gehe mit Selbstbewusstsein da rein.“ Zurecht, wie Tenniskanzler Boris Becker meinte: „Sascha hat im richtigen Moment zu Topniveau gefunden. Ihn muss man erst mal schlagen.“