Essen. Manuel Neuer gibt seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft bekannt. Der Weltmeister hat das Spiel revolutioniert. Eine Würdigung.
Die größtmögliche Würdigung Manuel Neuers, sie wurde schon am 30. Juni 2014 in Porto Alegre ausgesprochen. „Ich habe“, staunte Andreas Köpke, „selten einen besseren Libero gesehen. Vielleicht mal Franz Beckenbauer.“ Und damit war schon alles gesagt über Neuer, heute 38, der das Torwartspiel revolutioniert hat.
Es passierte im Achtelfinale der Weltmeisterschaft gegen Algerien, mit 2:1 nach Verlängerung mühte sich die deutsche Nationalmannschaft in die nächste Runde. Sie spielte nicht gut, aber Neuer schon vom vierten Stern, der bald folgen sollten. Er grätschte, er antizipierte, ihn hielt es nur so selten in seinem Strafraum, den andere Keeper jahrzehntelang gescheut hatten, zu verlassen. Sie mussten nicht, Neuer wollte. Bis zur Mittellinie und notfalls noch weiter. Torhüter zu sein, hieß spätestens ab diesem Tag nicht mehr, bloß Bälle zu halten.
Zehn Jahre nach seiner aberwitzigen Glanzleistung nimmt Manuel Neuer Abschied von der DFB-Elf, die er 15 Jahre geprägt hat. Der letzte Weltmeister geht. „Irgendwann musste dieser Tag ja kommen“, schrieb Neuer am Mittwoch in den sozialen Medien. Und weiter: „Wenn ich heute zurückblicke, erfüllt es mich mit Stolz und auch mit einer Menge Dankbarkeit, mit den ganzen Teamkollegen auf dem Platz gestanden zu sein und auch über sieben Jahre lang Kapitän der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gewesen zu sein. Bis zu meiner Verletzung. Was danach kam, war noch eine Zugabe für mich persönlich. Dass ich es noch einmal geschafft habe, auf dem Rasen zu stehen bei einer Heim-Europameisterschaft, war die Krönung.“ Nach den Rücktritten von Toni Kroos und Thomas Müller, beide 34, sowie dem des ein Jahr jüngeren Kapitäns Ilkay Gündogan endet eine Ära beim Deutschen Fußball-Bund.
DFB-Elf: Von Schalke aus in die große Fußball-Welt
Neuers Karriere in der Nationalmannschaft begann im Sommer 2009, schon ein paar Jahre zuvor wurde der gebürtige Gelsenkirchener Stammtorhüter seines geliebten FC Schalke 04. In der Champions-League erlebte im März 2008 eine magische Nacht, als er im Spiel beim FC Porto Schüsse und Kopfbälle abwehrte, die eigentlich schon im Netz tanzten. Als der Teil der jungen Nationalelf, die bei der WM 2010 begeisterte, spielte sich Neuer in den Fokus der Weltöffentlichkeit.
Schalke wurde irgendwann zu klein für den 1,93 Meter großen Keeper. Im Sommer 2011 wechselte er zu Bayern München. Die Königsblauen verschmähten den Jungen aus Gelsenkirchen-Buer als „Judas“, die Münchener Fans derweil empfingen den ehemaligen Schalke-Ultra-Fan mit Plakaten. „Koan Neuer!“
Sportlich aber konnte Bayern nie auf Neuer verzichten. 2013 und 2020 gewann er die Champions League. Elfmal holte er die Meisterschale. Praktisch alle Vereine in Europa beneideten die Münchener um den Mann mit den beeindruckenden Reflexen, der exzellenten Strafraumbeherrschung und der außergewöhnlichen Technik mit dem Fuß. Noch bis Sommer kommenden Jahres läuft sein Vertrag beim deutschen Rekordmeister. Neuer beendete das DFB-Kapitel auch, um sich vollkommen auf seinen Arbeitgeber zu konzentrieren, viele Jahre im Profifußball kann auch der Körper eines Modellathleten nicht mehr so leicht wegstecken. Die Weltmeisterschaft 2026 in Nordamerika, gibt Neuer zu, hätte ihn dennoch „gereizt“.
DFB-Team: Marc-André ter Stegen steht als Nachfolger parat
Seine Zeit in der Nationalmannschaft endet mit dem Viertelfinal-Aus gegen Spanien bei der Heim-Europameisterschaft, in seinem 124. Spiel mit dem Adler auf der Brust. Nur Lothar Matthäus (150), Miroslav Klose (137), Thomas Müller (131) und Lukas Podolski (130) haben mehr vorzuweisen. Sie endet mit dem Turnier, für das Neuer so hart bei seinem Comeback geschuftet hat. Nach der enttäuschenden WM 2022 brach sich der Torwart das Bein und fehlte monatelang. Julian Nagelsmann vertraute ihm trotzdem ein letztes Mal das deutsche Tor an. Der Bundestrainer, der am Montag von Neuer persönlich informiert worden war, nannte dessen Abschied einen „großen Verlust – sportlich und menschlich. Manu hat das Torwartspiel geprägt wie kein anderer in der Geschichte des Fußballs.“ DFB-Präsident Bernd Neuendorf hob Neuers „unfassbare Mentalität und Autorität auf dem Platz“ hervor. Der ewige Manuel Neuer ist nun Geschichte.
Nagelsmann wird zur WM in den USA, Kanada und Mexiko die Zeitenwende im deutschen Tor vollziehen müssen. Nach Jahren im Wartestand darf nun endlich Marc-André ter Stegen, 32, vom FC Barcelona zwischen den Pfosten stehen. „Er ist ein weiterer Weltklasse-Torwart“, sagte DFB-Sportdirektor Rudi Völler, „wir haben keine Sorgen.“