Barcelona. Der FC Barcelona hat die Generalprobe für die neue Saison verloren, hat derzeit viele Spieler mit Trainingsrückstand. Kein guter Start für Hansi Flick.

In aller Abgeschiedenheit das Ensemble einschwören, die Rollen zuweisen und die Aufführung einstudieren, mit der das Publikum dann zur Premiere von den Sitzen gerissen wird: So stellen sich ihre Arbeit nicht nur Theaterregisseure vor, sondern auch Fußballtrainer. Besonders dann, wenn sie wie Hansi Flick an einer neuen Bühne operieren. Das Problem des 59-jährigen Kurpfälzers vor dem Saisonstart des FC Barcelona am Samstag in Valencia: Die Realität hat damit nichts zu tun.

Das beginnt beim Thema der Ruhe. Zwar werden Presse und Fans auch bei diesem Spitzenklub längst von allen sehenswerten Trainingsinhalten ferngehalten, doch so viel verpassen sie wohl gar nicht – die Zeiten als etwa Pep Guardiola sein gefeiertes Werk in einem Sommercamp im kühlen Schottland entwerfen konnte sind ebenso lang vorbei. Marketingambitionen verlagern die Saisonvorbereitung in die USA, zwischen Florida und New Jersey absolvierte Barça drei Testspiele, die wiederum kaum Aussagewert beanspruchen dürfen – weil das Schlüsselpersonal noch gar nicht da war.

FC Barcelona fehlt derzeit nahezu das gesamte Stamm-Mittelfeld

Wegen EM, Olympischen Spielen und Blessuren hat Flick bis zuletzt im Wesentlichen mit einer Ersatzelf operiert. Im Mittelfeld etwa, bei Barça noch mehr als anderswo das Herz der Mannschaft, müssen auch am Samstag wohl die Nachwuchsprofis Marc Casadó und/oder Marc Bernal auflaufen. In Gavi (noch in der Rekonvaleszenz nach Kreuzbandriss), Pedri (Knieverletzung nach dem Foul von Toni Kroos im EM-Viertelfinale) und Frenkie de Jong (chronische Knöchelprobleme) fehlen alle gewohnten Protagonisten – mit der möglichen Ausnahme des „nur“ angeschlagenen Ilkay Gündogan. Im Angriff wiederum muss der frisch verpflichtete Dani Olmo (55 Millionen Euro von RB Leipzig) noch eingeschrieben werden und hat auch das 17-jährige Wunderkind Lamine Yamal noch Trainingsrückstand. Barça würde ihnen zudem gern in Nico Williams (Athletic Bilbao) den dritten Star der spanischen Europameisterelf zur Seite stellen, doch der kann sich bisher nicht zu einem Wechsel durchringen.

Hansi Flick bei der Saisoneröffnung Anfang der Woche.
Hansi Flick bei der Saisoneröffnung Anfang der Woche. © firo Sportphoto/dppi | Javier Borrego

Im Ergebnis stand bei der Generalprobe am Montag die maximale Ernüchterung. Bei der traditionellen Saisoneröffnung um die nach dem Vereinsgründer benannten Gamper-Pokal gab es ein 0:3 gegen AS Monaco. Es war das erste Mal seit 2012, dass Barcelona den traditionellen Aufgalopp verlor – und es gab angesichts einer uninspirierten und kopflosen Darbietung sogar schon vereinzelte Pfiffe. „Das sieht nicht gut aus“, diagnostizierte das Madrider Sportblatt „As“, derweil die klubnahe „Mundo Deportivo“ ob des tristen Alltagseinbruchs flehte: „Die Olympischen Spiele sollen zurückkommen.“ Flick selbst, der seine Interviews bisher auf Englisch gibt, sprach danach im katalanischen Regionalfernsehen davon, „dass wir es viel besser können“. Für alle Fälle informierte ihn die Zeitung „Sport“ aber schon mal, dass er den Unmut der Fans als „erstes Warnsignal“ auch für sich selbst verstehen könne.

Hansi Flick lässt offenbar härter trainieren als Vorgänger Xavi

Bislang konnte Flick durchaus auf einen gewissen Antrittsbonus blicken. Das lag schon daran, dass er nicht Xavi war – an seinem Vorgänger und dessen bisweilen wenig stringentem Diskurs hatten sich Medien und Fans sattgesehen. Außerdem profitiert Flick vom Sextett 2020 mit dem FC Bayern, das im neuen Barça auch durch seinen persönlichen Integrationsbeauftragten Thiago Alcántara repräsentiert wird; sowie von Berichten aus der Mannschaft, dass härter trainiert werde. Mangelnde Arbeitsintensität gilt seit vielen Jahren und etlichen Übungsleitern als ein Grundübel der besonders in Europa zuletzt chronisch erfolglosen Katalanen. Mit dem Trainerwechsel ging deshalb auch ein grundsätzliches Revirement bei Physios und Medizinern einher.

Neuer Barca-Kapitän: Marc-André ter Stegen
Neuer Barca-Kapitän: Marc-André ter Stegen © Getty Images via AFP | Scott Taetsch

Neu ist außerdem der Kapitän: Durch das Vertragsende des Kluburgesteins Sergi Roberto rückte Marc-André ter Stegen in der Hierarchie an erste Stelle. „Hoffentlich war es nur ein Unfall“, sagte der Torwart nach dem 0:3 gegen Monaco. Ter Stegen, 32, spielt schon seit zehn Jahren in der Stadt und weiß, wie schnell Zuversicht in Pessimismus umschlangen kann. Zumal wenn der Erzrivale Real Madrid als amtierender Meister und Champions-League-Sieger auch noch einen wie Transfercoup Kylian Mbappé gelandet hat. Vor ihrem ersten Auftritt in Mallorca am Sonntagabend gelten die Hauptstädter als Favoriten auf einen neuerlichen Ligatitel.

Für den FC Barcelona heißt das jedoch noch lange nicht, dass Ausreden akzeptiert werden. Das Bühnenstück dieser Saison ist mit Trainer, Kapitän und Nationalmannschaftskapitän so deutsch besetzt wie noch nie. Die Pflicht zu kunstvoller Unterhaltung besteht gleichwohl wie immer.