London. Jan-Lennard Struff hat in einer Nervenschlacht die dritte Wimbledon-Runde erreicht. Seine Willenskraft zeichnet den 34-Jährigen aus.
Als Jan-Lennard Struff kürzlich beim ATP-Turnier in Halle in sein bisher verrücktestes Spiel als Tennisprofi verwickelt war, fasste er nach dem zehnten, endlich erfolgreich verwandelten Matchball gegen den Italiener Luciano Darderi den „Wahnsinnssieg“ gewohnt prägnant zusammen: „Du musst einfach mutig sein. Du darfst keine Angst haben, wenn es hart auf hart geht.“ Damit war fast schon alles gesagt, was den 34-jährigen Sauerländer auszeichnet auf seine älteren Tage im Profibetrieb, was ihn am Ende eines langen, komplizierten Marsches in seinem aufreibenden Hand-Werk charakterisiert – inzwischen auch in Wimbledon, dort, wo es zählt für jeden Spieler. Mehr als irgendwo.
„Es tut gut, auch hier zeigen zu können, was man drauf hat“, sagte Struff am Mittwochabend nach einer für ihn fast typischen Nervenschlacht gegen den talentierten Chinesen Zhizhen Zhang, die mit einem spektakulären 5:7, 6:3, 7:6 (7:1), 7:6 (10:8)-Triumph endete. Im Tiebreak-Krimi des letzten Satzes wehrte Struff eiskalt drei Satzbälle ab und vermied eine Verlängerung und Vertagung der prickelnden Partie. Denn lange genug hatte das Duell sowieso schon gedauert, mit einem stundenlangen Vorlauf, ewigem Warten auf den Anpfiff, dem Hin und Her von Regenpausen. „Brutal“ nannte der Davis Cup-Spieler das Ganze, zwischendrin legte er sich sogar noch mal hin und gönnte sich eine Mütze Schlaf.
Jetzt wartet Medwedew
Nächster Gegner für Struff nun: Ein Altbekannter, ein vertrautes Gesicht. Daniil Medwedew, mit dem sich die Wege schon des Öfteren kreuzten. Vor drei Jahren verlor er gegen den damaligen Weltranglisten-Zweiten in vier hart umkämpften Sätzen der Wimbledon-Erstrundenpartie. Kurz zuvor aber hatte Struff in jener Saison einen emotional hochwichtigen Sieg gegen den russischen Kauz gelandet, daheim als Lokalmatador in Halle. Es war Struffs erster wirklich großer Erfolg in Ostwestfalen, nach vielen Jahren des bitteren Scheiterns gleich zu Turnierbeginn – ein Erfolg, den Struff noch heute als „ganz, ganz wichtig für mich“ bezeichnet, als Treibstoff fürs Ego.
Inzwischen hat sich Struff selbst in der erweiterten Weltspitze seines Sports einen festen Platz etabliert – als Spätberufener, der sich mit harter Arbeit und dem konsequenten Willen, sich Tag für Tag verbessern zu wollen, großen Respekt in der Branche erkämpft hat. „Jan-Lennard ist ein Vorbild für viele Kids. In der Art und Weise, wie er das Tennis liebt und lebt“, sagt Tennis-Kanzler Boris Becker über den zweifachen Familienvater, der jenseits der Dreißig in neue, unbekannte Sphären im Tennis-Universum aufgebrochen ist. Sein im Frühling erstrittener erster Turniersieg in München war längst überfällig, ein absolutes Topresultat bei einem Grand Slam-Festspiel scheint in Reichweite. Viel zu wenige in Deutschland würden auf „Struffi“ blicken, meint auch Frontmann Alexander Zverev, „er spielt einfach fantastisches Tennis, ist ein toller Typ.“
Struff ist zu einem Profi gewachsen
Als Wimbledon begann, lieferte Struff zunächst eher Schmunzel-Schlagzeilen – als plötzlich erblondeter Hauptdarsteller, der zwischen den Ortsterminen in Halle und London in den Farbtopf gefallen war. Gegen den unbequemen Zhang zeigte er dann, wie er über die Jahre zu einem Professional gewachsen ist, der eher das Unmögliche möglich macht und in brenzligen Lagen nicht zurückzuckt, sondern zupackend seine Chance sucht. Wo er jetzt stehe im Tennis, sagt Struff, habe er auch dem Umstand zu verdanken, „dass nichts einfach für mich war, dass ich mir alles schwer erarbeiten musste“: „Du kämpfst schlicht mit jeder Faser um den Sieg, willst auch nichts liegen lassen.“
Im vergangenen Jahr musste Struff nach dem Turnier in Halle eine Zwangspause einlegen, eine Verletzung setzte ihn bis nach den US Open außer Gefecht. Das Malheur eröffnet ihm aktuell aber beträchtliche Möglichkeiten in der Ranglisten-Hackordnung, denn Struff kann sein Punktekonto mit jedem Sieg aufstocken, hat wochenlang nichts zu verteidigen. Damit rückt auch der erstmalige Sprung unter die Top 20 näher, bisheriges Allzeithoch Struffs ist Platz 21 vor gut fünf Jahren. Gegen Medwedew ist die starke deutsche Nummer zwei alles andere als ein krasser Außenseiter, auch wenn er den nächsten Gegner als „absolute Kante“ und „toughen Burschen mit allen Finessen“ bezeichnet: „Aber ich glaube immer an meine Chance. Gegen jeden.“