Bochum. Der Wattenscheider Leichtathlet Marius Probst erhält trotz DM-Titel über 1500 Meter keine Förderung vom Verband. Trotzdem startet er bei der EM.
Ein Montagabend in Ostrava. Es ist zum Verrücktwerden. Marius Probst sitzt im Hotel, er will unbedingt dieses Fußballspiel sehen. Doch es gibt kein deutsches TV, das tschechische Internet schafft kein Streaming. Ausdauer und Nervenstärke sind gefragt. Die Lösung: Videotelefonie mit der Freundin, die in Bochum am Fernseher das Relegationsrückspiel des VfL bei Fortuna Düsseldorf schaut. Ein ungewöhnlicher Weg – jedoch: Marius Probst erlebt leicht verwackelt wie sein Lieblingsverein den Bundesliga-Klassenerhalt schafft. Ausdauer, Nervenstärke, Umweg – so könnte auch die Geschichte des 28-Jährigen überschrieben sein.
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Marius Probst ist seit Jahren einer der besten deutschen Mittelstreckenläufer. Ausdauer und Nervenstärke gehören zum Berufsbild. Aufgewachsen in Herne lebt er seit acht Jahren in Bochum, jagt für den TV Wattenscheid schnelle Zeiten. Worauf er schon länger schielt: der Vereinsrekord. Der liegt bei 3:33,60 Minuten, aufgestellt 1997 von Rüdiger Stenzel. „Er liegt knapp über der Olympianorm“, sagt Probst: „Wenn ich den knacke, bin ich ziemlich sicher in Paris dabei.“ Es ist sein großer Traum.
Zweimal Bestleistung gelaufen
Doch vor den Sommerspielen in Frankreich steht noch ein weiterer Saisonhöhepunkt an. In Ostrava war Probst für ein letztes Rennen vor der Leichtathletik-EM: Heute kämpft er im Stadio Olimpico von Rom um den Einzug ins 1500-Meter-Finale am Mittwoch. Die Aussichten sind gut. „Ich würde mich einfach mal aus dem Fenster lehnen“, sagt er: „Ich bin in der Form meines Lebens.“ Mit persönlichen Bestleistungen über 800 (1:46.15) und 1500 Meter (3:35.28) ist er in die Saison eingestiegen. Und: „Ich bin verletzungsfrei und gesund geblieben – körperlich fühle ich mich sehr, sehr gut.“
Selbstverständlich ist das nicht. Denn Marius Probst ist ähnlich wie in Ostrava gezwungen, einen ungewöhnlichen Weg zu gehen. Nach einem schwachen Jahr 2022 wurde er für 2023 aus dem Kader des Deutschen Leichtathletik-Verbandes gestrichen. Fortan fehlten ihm 700 Euro im Monat an Sporthilfeförderung, Zuschüsse für Trainingslager und therapeutische Behandlungen.
Leichtathletik-EM Marius Probst wagt keine Prognose für Rom
Doch mit der Unterstützung seines Vereins und seiner Sponsoren trotzte er der Situation, wurde 2023 Deutscher Meister in der Halle und draußen. „Ich bin sehr dankbar dafür und war mir sicher: Als Deutscher Meister gehöre ich wieder zum Kader.“ Doch es kam anders: Kurzfristig wurde die Kadernorm noch einmal angepasst, Marius Probst hatte keine Gelegenheit mehr, die neue Hürde zu knacken. Und so stand er wieder nicht im Kader. Ein herber Rückschlag – und das vor einem Olympischen Jahr, einem, in dem er schon so nah an der Qualifikation war. Wieder musste er sich strecken. Ein Kraftakt – finanziell, mental, auch für sein Umfeld. „Den Deutschen Meister – und ich stehe auch in der Weltrangliste gut da – in einem Olympiajahr nicht zu fördern, finde ich schon sehr schade“, formuliert Probst es milde.
Dass sein erzwungener Umweg zu so einer starken Form geführt hat, ist eine Genugtuung. Eine Prognose für Rom mag Marius Probst aber nicht geben. Das liege in der Natur seiner Disziplin, zu viele Eventualitäten. „Schon im Vorlauf muss man mit allen Wassern gewaschen sein“, sagt er. Gelingt ihm aber der Sprung ins Finale, „dann weiß jeder, dass man mit mir rechnen kann. Ich habe schon oft gezeigt, dass ich in solchen Momenten über mich hinauswachsen kann.“
Doch die Konkurrenz ist extrem. „Europa ist im Laufbereich, in meiner Disziplin der stärkste Kontinent. Die 1500 der Männer sind meiner Meinung nach in Dichte, Breite und Niveau die beste Disziplin der Welt. Du darfst dir schon im Vorlauf keinen Fehler erlauben – deshalb würde ich den ersten Luftsprung machen, wenn ich es ins Finale schaffe.“ Am liebsten wäre er mit Jakob Ingebrigtsen in einem Vorlauf gewesen – doch sie landeten in zwei verschiedenen. „Er ist jemand, der für Tempo sorgt, man kann sich sicher sein, dass es ein schnelles Rennen wird, dass damit auch die eigene Zeit schnell ist.“ Sollte für Marius Probst der Finaleinzug über die den Weg der Zeitschnellsten gehen, könnte dies ein Vorteil werden.
Dominator Ingebrigtsen
Ansonsten gibt es wenig Grund, sich über Ingebrigtsen als Gegner zu freuen. Der schmale Norweger ist der Superstar der Szene. Mit 23 Jahren greift der Olympiasieger über 1500 Meter in Rom nach seinem dritten EM-Titel-Doppelpack in Serie. Die 5000 Meter gewann er bereits am Wochenende. Schon seine älteren Brüder sorgten für Aufsehen. Probst hat kein Problem, die Ausnahmeleistung anzuerkennen. „Auch wenn er etwas jünger ist als ich – zu so jemanden schaut man ja auf. Bei allem, was er erreicht hat, auch die Professionalität, die er an den Tag legt – das ist beeindruckend.“
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Sein Leben lang schon trainiert Ingebrigtsen unter perfekten Bedingungen. Mit der Realität von Marius Probst hat das wenig gemein. Für den 28-Jährigen ist das ein Problem mit Signalwirkung. „Wenn junge Athleten sehen, dass schon ich als Deutscher Meister nicht gefördert werde und wie viele Entbehrungen notwendig sind – wie will man sie noch für den Sport begeistern?“ Schon jetzt merke er, dass in Deutschland hinter ihm und Robert Farken nicht viel nachkommt. „Wir liefern uns einen hochkarätigen Zweikampf, aber dahinter kommen sie mit acht Sekunden Rückstand ins Ziel – das sind schon sehr düstere Aussichten“, sagt er.
In Rom wird es enger zur Sache gehen. Da zählt es dann wieder: Ausdauer, Nervenstärke – nur diesmal besser kein Umweg.