Dortmund. Tennisspielerin Jule Niemeier hat 2022 einen bemerkenswerten Aufstieg erlebt. Im Interview spricht sie über das Jahr und ihre Ziele.

Für Tennisprofi Jule Niemeier war 2022 das Jahr ihres Durchbruchs. Zu Beginn des Jahres war die Dortmunderin noch jenseits der 100 in der Weltrangliste platziert, im Frühling in Wimbledon sorgte sie für Furore. Und es sollte nicht ihr letzter Fingerzeig bleiben. Im Gespräch erzählt die 23-Jährige von den schönsten und schwierigen Momenten des Jahres. Die derzeitige deutsche Nummer eins verrät, warum sie sich ganz besonders auf die Australian Open im kommenden Jahr freut.

Nach der Saison ist vor der Saison. Diese alte Sportlerweisheit gilt natürlich besonders im Tennis. Das Jahr 2022 ist noch nicht vorbei, aber die Vorbereitung hat bei Ihnen längst schon begonnen?

Jule Niemeier: Genau. Ich habe zwei Wochen Urlaub gemacht, in Südafrika und auf den Seychellen. Aber seit Anfang Dezember bin ich schon wieder im Training.

Das Jahr 2022 war für Sie ja ein unglaubliches. Von Position 130 auf 66 in der Weltrangliste, das erste Mal bei den French Open in einem Grand-Slam-Hauptfeld gespielt, in Wimbledon dann plötzlich das Viertelfinale erreicht, beim Billie-Jean-King-Cup das deutsche Team als Nummer eins angeführt und die Klasse gehalten. Haben Sie das inzwischen alles verarbeiten können?

Ich habe diese Dinge eigentlich immer direkt im Anschluss versucht zu verarbeiten. Im Urlaub habe ich gar nicht an Tennis gedacht. Ich bin nicht jemand, der am Ende des Jahres alles Revue passieren lässt. Ich schaue eher nach vorne.

Was war denn Ihr persönlich schönster Moment des Jahres?

Glücklich: Jule Niemeier nach ihrem Achtelfinal-Sieg in Wimbledon am 3. Juli 2022.
Glücklich: Jule Niemeier nach ihrem Achtelfinal-Sieg in Wimbledon am 3. Juli 2022. © Getty Images | Getty Images

Was heraussticht, ist das gewonnene Achtelfinale in Wimbledon gegen die Britin Heather Watson auf dem Centre Court. Die Stimmung dort und dann noch der Sieg. Das war sehr besonders.

Und was war vielleicht Ihr schwierigster Moment des Jahres?

Das Match gegen die Weltranglistenerste Iga Swiatek im Achtelfinale bei den US Open gehört zu den schönen, aber auch zu den schwierigsten Momenten. Ich habe sie ja eineinhalb Sätze lang dominiert. Diese Partie dann noch zu verlieren, das war sehr bitter und ich war extrem enttäuscht. Aber es war auch sehr lehrreich.

Welche Rolle hat Ihr neuer Trainer Christopher Kas, mit dem Sie seit April zusammenarbeiten, im vergangenen Jahr gespielt?

Er hat mir vielen neuen Input gegeben. Gar nicht speziell in einem Bereich, sondern, er hat sowohl Taktik als auch Technik verfeinert. Auch menschlich ist er sehr wichtig für mich, weil er immer optimistisch ist, eine gute Stimmung ins Team bringt und wir uns auf und neben dem Platz sehr gut verstehen. Es ist sehr wichtig, dass man viel miteinander reisen kann und sich nicht auf den Keks geht.

Sie wirken auch mental bestens vorbereitet.

Kasi weiß genau, wie er mit einem sprechen muss vor großen Matches. Es kennt diese Situationen genau. Ich finde es wichtig, dass ein Trainer das nachempfinden kann. Ebenso, dass er einem das Gefühl vermittelt, dass er zu einhundert Prozent hinter einem steht. Hinter mir als Person und mir als mir als Spielerin. Diese Wertschätzung vermittelt einem auch Sicherheit.

In Abwesenheit von Angelique Kerber haben Sie das deutsche Billie-Jean-King-Cup-Team angeführt und mit der Mannschaft den Abstieg verhindert. Wie war dieser Einsatz für das Team für Sie?

Hochkonzentriert: Jule Niemeier im November beim Relegationsduell des Billie-Jean-King-Cups in Kroatien.
Hochkonzentriert: Jule Niemeier im November beim Relegationsduell des Billie-Jean-King-Cups in Kroatien. © dpa | dpa

In dem Moment und auch in den letzten Wochen war es für mich gar nicht so präsent, dass ich jetzt gerade die deutsche Nummer eins bin. Wir sind ein super Team, egal, wer da jetzt an eins oder zwei oder sonst wo spielt. Wir haben es als Team sehr stark gemacht. Anna-Lena Friedsam und Eva Lys haben jeweils unglaublich starke Matches gespielt. Ich habe mich nach kleinen Anfangsschwierigkeiten gesteigert und einen wichtigen Punkt geholt. Dass wir als Mannschaft gewonnen haben, ist darum viel, viel wichtiger. Ich weiß schon, dass mit der Nummer eins auch eine gewisse Verantwortung verbunden ist. Aber das macht mir auch Spaß und ich gehe da auch gerne voran.

In der kleinen Form haben Sie das ja auch schon in der Tennis-Bundesliga erlebt mit dem TC Bredeney. Dreiviertel des BJK-Cup-Teams besteht ja quasi aus dem Bredeneyer Bundesliga-Team, mit dem Sie Deutscher Meister geworden sind. Hat das eine Rolle gespielt?

Ehrlich gesagt, habe ich bis gerade gar nicht darüber nachgedacht. (lacht) Wir Mädels verstehen uns untereinander einfach richtig gut und kennen uns teilweise auch schon sehr lange. Schade, dass sich Tadde (Tatjana Maria Anm. d. Red) vorher verletzt hat. Aber es hat direkt alles harmoniert und hat sich gar nicht so angefühlt, als ob wir das erste Mal so zusammen spielen.

Apropos Mannschaftsspiele: Über den Jahreswechsel steht mit dem United Cup in Sydney ein Mannschafts-Mixed-Turnier an. Ist das etwas, auf das Sie besonders hinfiebern?

Ich freue mich sehr darauf. Mit Alexander Zverev habe ich beispielsweise noch nie so privat gequatscht. Oscar Otte kenne ich ein bisschen. Ich denke, dass wir eine coole Mannschaft sind und dann auch hoffentlich erfolgreich abschneiden werden. Aus sportlicher Sicht ist das auch schon mal ein erster Gratmesser. Jeder versucht die Dinge aus der Vorbereitung möglichst gut umzusetzen, um erfolgreich in die Saison zu starten.

Wenn Sie sich einen speziellen Mixed-Partner aussuchen könnten. Wer wäre das? Ihr Vorbild Rafael Nadal?

Ja, definitiv. (lacht)

Und Doppel?

Wenn Ashleigh Barty noch spielen würden, dann würde ich gerne mit ihr spielen. Ich habe mir sehr viel von ihr abgeschaut. Von den aktiven Spielerinnen würde ich Ons Jabeur nehmen. Sie ist menschlich so super. Aber auch spielerisch ist sie überragend: Ihr vielfältiges, variables Spiel, sie hat einen mega Touch. Ich glaube, dass wir viel Spaß auf dem Platz hätten.

Sie haben Weihnachten nicht zu Hause verbracht, sondern sind bereits mit Ihrem Trainer nach Australien gereist. Was machen Sie an Silvester? Feiern Sie an der Harbour Bridge in Sydney?

Das ist noch nicht ganz klar. Es ist ein bisschen ärgerlich, dass wir zwar in Sydney sind, aber leider schon am 1. Januar um 10 Uhr morgens Turnierstart haben und entsprechend früh ins Bett gehen sollten. Da müssen wir mal schauen, wie wir das machen.

Was haben Sie sich vor einem Jahr gedacht, bevor Sie ins neue Jahr gestartet sind?

Ich habe mir im vergangenen Jahr viel Stress gemacht, wollte endlich auf der Tour ankommen, endlich bei Grand-Slam-Turnieren meine Leistung abrufen. Ich bin sehr froh und glücklich, dass das Jahr dann so verlaufen ist. Damit konnte man nicht unbedingt rechnen.

Was haben Sie sich für 2023 vorgenommen?

Dieser ganz große Druck ist jetzt ein bisschen weg. Ich bin auf der Tour angekommen, habe ein gutes Ranking, das mir erlaubt, im Hauptfeld der Grand-Slam-Turniere zu spielen. Eine bestimmte Ranglistenposition oder ein anderes konkretes Ziel für 2023 habe ich mir jetzt nicht vorgenommen. Ich möchte möglichst gut in die Saison starten. Dann sehen wir weiter.

Sie sprechen es an: Die Australian Open (16. bis 29. Januar) stehen auch schon fast wieder vor der Tür. Sie waren dort noch nicht im Hauptfeld. Freue Sie sich besonders auf den „Happy Slam“?

Ich freue mich total auf die Zeit in Australien und die Australian Open. Ich war bisher zweimal dort und es ist einfach wie in einer anderen Welt. Die Menschen sind nett und gut drauf, die Sonne scheint. Hier in Deutschland sind viele im Winter eher das Gegenteil und immer so ernst. Dort ist es etwas ganz anderes. Das mag ich sehr. Und außerdem ist es auch noch ein sehr schönes Land. Ich hatte schon einmal die Möglichkeit, dort auch ein paar Tage Urlaub zu machen. Das hat mich sehr beeindruckt. So kann die Saison auf jeden Fall starten.